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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb
Autoren: Terry Pratchett
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sagte sie, nicht
    überrascht von der dunklen Gestalt vor ihr.
    »Das stimmt, Frau Ogg.«
    »Inzwischen nennen mich alle Nanny.«
    Sie sah den tauenden Schnee auf den Schultern des Fremden. Schon
    seit einem Monat hatte es nicht mehr geschneit.
    »Und es ist dringend, nicht wahr?«, fragte sie und erinnerte sich.
    »Ja.«
    »Vermutlich sagst du gleich: ›Du musst sofort mitkommen.‹«
    »Du musst sofort mitkommen.«
    »Nun«, meinte Nanny, »ich würde sagen: Ja, ich bin eine ziemlich gute Hebamme, kein Zweifel. Ich habe Hunderte von Kindern auf die Welt
    gebracht, sogar einige Trolle – und das ist nichts für Unerfahrene. Ich kenne Geburten vorwärts und rückwärts, manchmal auch seitwärts. Ich
    war auch immer bereit, etwas Neues zu lernen.« Sie senkte bescheiden den Blick. »Ich will nicht behaupten, die Beste zu sein«, fügte sie hinzu.
    »Aber ich kenne niemanden, der besser ist.«
    »Du musst mich jetzt begleiten.«
    »Oh, muss ich das?«, erwiderte Frau Ogg.
    »Ja!«
    Eine Randhexe denkt schnell, denn Ränder können sich schnell
    verändern. Sie erkennt auch eine sich entfaltende Mythologie und weiß, wann man besser auf ihren Weg tritt und losläuft, um mit der
    Entwicklung der Dinge Schritt zu halten.
    »Na schön. Ich hole nur schnell…«
    »Dafür haben wir keine Zeit .«
    »Aber ich kann doch nicht einfach so losgehen und…«
    »Jetzt sofort .«
    Nanny griff hinter die Tür und nach der Geburtstasche, die für solche Gelegenheiten vorbereitet war. Sie enthielt alle Dinge, die eine Hebamme brauchte, und auch noch einige andere, die hoffentlich nie erforderlich 14

    wurden.
    »Also gut«, sagte Nanny Ogg.
    Sie brachen auf.

    Tick

    Das Wasser begann gerade zu kochen, als Nanny in die Küche
    zurückkehrte. Sie betrachtete den Kessel kurz und nahm ihn dann vom
    Feuer.
    Das Glas auf dem Tisch enthielt noch immer ein wenig Brandy. Sie
    leerte es, bevor sie die Flasche nahm und es bis zum Rand füllte.
    Sie griff nach der Pfeife, deren Kopf noch immer warm war. Sie zog
    daran, und die Kohle knisterte.
    Dann holte sie etwas aus ihrer Tasche, die jetzt ein ganzes Stück leerer war als vorher, nahm mit dem Brandyglas in der einen Hand Platz und
    blickte auf das Objekt hinab.
    »Nun…«, sagte sie schließlich. »Das war… ungewöhnlich…«

    Tick

    Tod beobachtete, wie das Bild verblasste. Einige aus dem Spiegel
    gewehte Schneeflocken waren bereits auf dem Boden geschmolzen, aber
    es lag noch immer ein wenig Pfeifenrauch in der Luft.
    AH, ICH VERSTEHE, sagte er. EINE GEBURT, UNTER
    SELTSAMEN UMSTÄNDEN. ABER WAR DIES DAS PROBLEM,
    ODER KÜNDIGT SICH DAMIT DIE LÖSUNG AN?
    QUIEK, erwiderte der Rattentod.
    IN DER TAT, bestätigte Tod. DA KÖNNTEST DU DURCHAUS
    RECHT HABEN. EINS STEHT FEST: DIE HEBAMME GIBT MIR
    BESTIMMT KEINE AUSKUNFT.
    Der Rattentod wirkte überrascht. QUIEK?
    Tod lächelte. DER TOD, DER SICH NACH DEM LEBEN EINES
    15

    KINDES
    ERKUNDIGT? NEIN. SIE WÜRDE NICHT
    ANTWORTEN.
    »Tschuldigung«, ließ sich der Rabe vernehmen. »Aber wie kann
    Fräulein Ogg zu Frau Ogg geworden sein? Klingt ganz nach einer
    ländlichen Besonderheit, wenn ihr versteht, was ich meine.«
    HEXEN SIND MATRILINEAL, erklärte Tod. ES FÄLLT IHNEN
    VIEL LEICHTER, DEN EHEMANN ZU WECHSELN, ALS DEN
    EIGENEN NAMEN ZU ÄNDERN.
    Er ging zu seinem Schreibtisch und zog eine Schublade auf.
    Ein dickes Buch lag darin, in Nacht gebunden. Bei anderen Büchern
    dieser Art hätte vielleicht »Unsere Hochzeit« oder »Acmes Photoalbum«
    auf dem Umschlag gestanden. In diesem Fall lautete der Titel
    »ERINNERUNGEN«.
    Tod blätterte vorsichtig. Manche Erinnerungen entkamen dabei und
    formten kurze Bilder in der Luft, bevor Tod umblätterte, um dann
    fortzuhuschen und sich in den dunklen Ecken des Zimmers zu
    verbergen. Es erklangen auch Geräusche: kurzes Lachen oder Weinen,
    Schreie und aus irgendeinem Grund Xylophon-Musik, die Tod
    innehalten ließ.
    Ein Unsterblicher hat ziemlich viele Erinnerungen. Manchmal ist es
    besser, sie an einem sicheren Ort unterzubringen.
    Eine alte Erinnerung, braun und mit fransigen Rändern, verharrte über dem Schreibtisch. Sie zeigte fünf Gestalten, vier auf Pferden, eine in einem Streitwagen – sie alle schienen geradewegs aus einem Gewitter zu kommen. Die Pferde liefen im vollen Galopp. Es gab jede Menge Rauch
    und Flammen und allgemeine Aufregung.
    AH, DIE GUTE ALTE ZEIT, sagte Tod. BEVOR SOLO-
    KARRIEREN IN MODE KAMEN.
    QUIEK?, fragte der Rattentod.
    OH, JA, erwiderte Tod. FRÜHER WAREN WIR
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