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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb
Autoren: Terry Pratchett
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konstruierst, die genau geht, Herr Jeremy.«
    »Alle meine Uhren gehen genau«, sagte Jeremy und blickte dabei auf
    seine Füße. Das nächste Mal sollte er die Medizin erst in fünf Stunden und siebzehn Minuten nehmen, aber er fühlte, dass er sie schon früher brauchte. »Und jetzt bitte ich dich…«
    »Wie genau sind deine Uhren?«
    »In elf Monaten gehen sie weniger als eine Sekunde vor oder nach«,
    sagte Jeremy stolz.
    »Und das ist gut?«
    »Ja.« Es war sogar sehr gut. Gerade aus diesem Grund hatte die Gilde Verständnis gezeigt. Dem Genie gewährt man immer ein wenig
    Spielraum, nachdem man ihm den Hammer aus der Hand genommen
    und das Blut aufgewischt hat.
    »Wir möchten eine viel größere Genauigkeit.«
    »Unmöglich.«
    »Ach? Soll das heißen, du bist dazu nicht imstande?«
    »Nein, es soll heißen, dass es unmöglich ist. Wenn ich nicht dazu
    imstande bin, so kann es kein anderer Uhrmacher in der Stadt
    bewerkstelligen. Ich wüsste davon, wenn so etwas möglich wäre.«
    »So stolz bist du? Und so sicher?«
    21

    »Ich wüsste davon«, wiederholte Jeremy, und das entsprach der
    Wahrheit. Die Kerzen- und Wasseruhren… waren Spielzeuge, die er aus
    Respekt vor den Anfängen der Zeitmessung aufbewahrte. Er hatte sogar mit verschiedenen Wachsarten und unterschiedlich großen Eimern
    experimentiert, dabei primitive Uhren konstruiert, nach denen man fast, nun, die Uhr stellen konnte. Es gab kaum etwas dagegen einzuwenden,
    dass sie nicht sehr genau gingen. Immerhin handelte es sich um einfache, organische Dinge, um Parodien der Zeit. Sie kratzten nicht an seinen Nerven. Aber eine richtige Uhr… Sie war ein Mechanismus, ein Etwas
    aus Zahlen, und Zahlen mussten perfekt sein.
    Die Frau neigte erneut den Kopf zur Seite. »Wie misst du eine solche Genauigkeit?«
    Das hatte man ihn oft in der Gilde gefragt, als sich sein Talent zeigte.
    Auch damals war er nicht in der Lage gewesen, die Frage zu
    beantworten, denn sie ergab keinen Sinn. Man baute eine Uhr, damit sie genau ging. Ein Porträtmaler malte ein Porträt. Wenn es wie die
    betreffende Person aussah, so war es ein genaues Bild. Wenn man die
    Uhr richtig baute, so ging sie genau. Man brauchte nichts weiter messen.
    Man wusste es.
    »Ich weiß es einfach«, sagte Jeremy.
    » Wir möchten eine Uhr, die sehr genau geht.«
    »Wie genau?«
    »Genau.«
    »Der Genauigkeit sind durch die verwendeten Materialien Grenzen
    gesetzt«, erklärte Jeremy. »Ich habe… gewisse Techniken entwickelt,
    aber es gibt Dinge wie… Vibrationen vom Straßenverkehr, geringfügige Temperaturschwankungen und so weiter.«
    Lady LeJean betrachtete einige dicke, von Kobolden betriebene Uhren.
    Sie griff nach einer davon und öffnete die Klappe an der Rückseite. Ein kleiner Sattel und Pedale wurden sichtbar, aber niemand saß dort.
    »Keine Kobolde?«, fragte die Frau.
    »Ich behalte sie allein aus historischem Interesse«, sagte Jeremy. »Sie gingen pro Minute einige Sekunden vor oder nach, und nachts blieben
    sie ganz stehen. Solche Uhren taugen nur etwas, wenn die eigene
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    Vorstellung von Genauigkeit auf ›gegen zwei‹ hinausläuft.« Bei diesen Worten schnitt er eine Grimasse. Sie fühlten sich an wie Fingernägel auf einer Schiefertafel.
    »Was ist mit Invar?«, fragte die Frau und sah sich weiterhin im
    Uhrmuseum um.
    Jeremy wirkte schockiert. »Die Legierung? Bisher dachte ich, dass nur Gildenmitglieder darüber Bescheid wissen. Sie ist sehr teuer und weitaus mehr wert als ihr Gewicht in Gold.«
    Lady LeJean straffte die Gestalt. »Geld spielt keine Rolle«, sagte sie.
    »Würde Invar es dir ermöglichen, eine Uhr mit absoluter Genauigkeit zu konstruieren?«
    »Nein. Ich verwende die Legierung bereits. Es stimmt schon,
    unterschiedliche Temperaturen beeinflussen sie nicht, aber es gibt
    immer… Barrieren. Immer kleinere Störungen führen zu immer größeren Problemen. Das ist Xenos Paradoxon.«
    »Ah, ja. Der ephebianische Philosoph, der behauptete, man könnte
    einen laufenden Mann nicht mit einem Pfeil treffen?«, erwiderte die
    Lady.
    »Rein theoretisch, weil…«
    »Wenn ich mich recht entsinne, entwickelte Xeno vier Paradoxa«, sagte Lady LeJean. »Es ging dabei um die Vorstellung, dass es so etwas wie eine kleinste, nicht mehr teilbare Zeiteinheit gibt. Sie muss existieren, nicht wahr? Denk an die Gegenwart. Sie muss eine Länge haben, denn
    das eine Ende ist mit der Vergangenheit verbunden und das andere mit der Zukunft. Wenn die Gegenwart keine Länge hätte,
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