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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Hintertür, wodurch Schnee vom Dach rutschte.
    Die junge Frau hatte ihren neuen Hut im Spiegel bewundert und zog den bereits recht tiefen Ausschnitt ihres Kleids etwas weiter nach unten, für den Fall, dass es ein männlicher Besucher war. Dann öffnete sie die Tür.
    Eine Gestalt zeichnete sich vor dem kalten Sternenlicht ab. Schneeflocken sammelten sich auf ihrem Mantel.
    »Frau Ogg?«, fragte der Mann. »Die Hebamme?«
    »Eigentlich bin ich Fräulein Ogg«, sagte die junge Frau stolz. »Und ich bin auch Hexe.« Sie deutete auf ihren neuen, spitz zulaufenden schwarzen Hut. Sie war noch immer in dem Stadium, wo sie ihn auch daheim trug.
    »Du musst sofort mitkommen. Es ist sehr dringend.«
    Die junge Frau schien plötzlich der Panik nahe zu sein. »Geht es um Frau Weber? Ich dachte, bei ihr dauert es noch einige Wochen…«
    »Ich habe einen weiten Weg hinter mir«, sagte der Mann. »Es heißt, du bist die Beste auf der ganzen Welt.«
    »Was? Ich? Bis jetzt habe ich nur ein Kind zur Welt gebracht!« Fräulein Ogg fühlte sich plötzlich in die Enge getrieben. »Biddy Unheimer hat viel mehr Erfahrung als ich! Und auch die alte Minnie Packmitan! Bei Frau Weber sollte ich zum ersten Mal allein zurechtkommen, weil sie wie ein Kleiderschrank gebaut ist und…«
    »Ich bitte um Verzeihung. Ich möchte nicht noch mehr von deiner Zeit beanspruchen.«
    Der Fremde zog sich in die von Schneeflocken durchzogene Dunkelheit zurück.
    »Hallo?«, fragte Fräulein Ogg. »Hallo?«
    Aber es waren nur noch Fußspuren zu sehen. Sie hörten mitten auf dem schneebedeckten Pfad auf.
     
    Tick
     
    Jemand hämmerte an die Tür. Frau Ogg stellte das Kind beiseite, das auf ihrem Schoß gesessen hatte, ging zur Tür und öffnete.
    Eine dunkle Gestalt zeichnete sich vor dem Himmel eines warmen Sommerabends ab. Ihre Schultern wirkten sonderbar.
    »Frau Ogg? Bist du jetzt verheiratet?«
    »Ja, zum zweiten Mal«, bestätigte sie munter. »Was kann ich für dich t…«
    »Du musst sofort mitkommen. Es ist sehr dringend.«
    »Ich wusste gar nicht, dass eine Geburt bevorst…«
    »Ich habe einen weiten Weg hinter mir«, sagte die Gestalt.
    Frau Ogg zögerte. Das Wort »weiten« hatte irgendwie seltsam geklungen. Und sie erkannte das Weiße auf den Schultern als schnell tauenden Schnee. Vage Erinnerungen regten sich in ihr.
    »Nun…«, begann sie, denn in den letzten zwanzig Jahren hatte sie viel gelernt, »… ich gebe mir natürlich immer Mühe, das können alle bestätigen. Aber ich kann nicht behaupten, die Beste zu sein. Ich lerne immer etwas Neues dazu, das auf jeden Fall.«
    »Oh. In dem Fall werde ich zu einem passenderen… Zeitpunkt zurückkehren.«
    »Warum hast du Schnee auf den…«
    Doch der Fremde war, ohne zu verschwinden, einfach nicht mehr da…
     
    Tick
     
    Jemand hämmerte an die Tür. Nanny Ogg stellte vorsichtig ihren Schlummertrunk – ein Glas Brandy – beiseite und blickte kurz an die Wand. Ein Leben der Randhexerei 4 hatte Sinne von ihr geschärft, von deren Existenz die meisten Leute nicht einmal ahnten. Irgendetwas in ihrem Kopf machte »Klick«.
    Auf dem Kamineinsatz stand ein Kessel, darin begann gerade das Wasser für die Wärmflasche zu kochen.
    Nanny Ogg legte die Pfeife auf den Tisch, stand auf und öffnete die Tür an einem Frühlingsabend.
    »Bestimmt hast du einen weiten Weg hinter dir«, sagte sie, nicht überrascht von der dunklen Gestalt vor ihr.
    »Das stimmt, Frau Ogg.«
    »Inzwischen nennen mich alle Nanny.«
    Sie sah den tauenden Schnee auf den Schultern des Fremden. Schon seit einem Monat hatte es nicht mehr geschneit.
    »Und es ist dringend, nicht wahr?«, fragte sie und erinnerte sich.
    »Ja.«
    »Vermutlich sagst du gleich: ›Du musst sofort mitkommen.‹«
    »Du musst sofort mitkommen.«
    »Nun«, meinte Nanny, »ich würde sagen: Ja, ich bin eine ziemlich gute Hebamme, kein Zweifel. Ich habe Hunderte von Kindern auf die Welt gebracht, sogar einige Trolle – und das ist nichts für Unerfahrene. Ich kenne Geburten vorwärts und rückwärts, manchmal auch seitwärts. Ich war auch immer bereit, etwas Neues zu lernen.« Sie senkte bescheiden den Blick. »Ich will nicht behaupten, die Beste zu sein«, fügte sie hinzu. »Aber ich kenne niemanden, der besser ist.«
    »Du musst mich jetzt begleiten.«
    »Oh, muss ich das?«, erwiderte Frau Ogg.
    »Ja!«
    Eine Randhexe denkt schnell, denn Ränder können sich schnell verändern. Sie erkennt auch eine sich entfaltende Mythologie und weiß, wann man besser

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