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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb
Autoren: Terry Pratchett
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glänzten auf einer schwarzen Unterlage…
    Jeremy mochte es, wenn die Einzelteile einer Uhr vor ihm ausgebreitet lagen, wenn alle Zahnräder und Federn auf schwarzem Samt ruhten. Er gewann dann den Eindruck, die Zeit selbst zu betrachten, demontiert und kontrollierbar, jede Komponente leicht zu verstehen…
    Wenn sein Leben doch nur ähnlich beschaffen wäre. Er stellte sich vor, es in seine Einzelteile zu zerlegen und sie auf dem Tisch auszubreiten, um sie zu reinigen und zu ölen und wieder zusammenzusetzen, auf dass sich alles so bewegte, wie es der Fall sein sollte. Aber manchmal erweckte Jeremys Leben den Anschein, von einem nicht sehr geschickten Handwerker montiert worden zu sein, von jemandem, der es einigen kleinen, aber sehr wichtigen Teilen gestattet hatte, mit einem Ping in den Ecken des Zimmers zu verschwinden.
    Er wünschte sich, mehr für andere Leute übrig zu haben, aber er kam einfach nicht mit ihnen klar. Er wusste nie, was er sagen sollte. Wenn das Leben eine Party war, so hielt er sich nicht einmal in der Küche auf. Er beneidete Leute, die es so weit wie bis zur Küche geschafft hatten. Vermutlich gab es dort die Reste einer Tunksoße und ein oder zwei Flaschen billigen Wein, den jemand mitgebracht hatte und der durchaus genießbar war, wenn man die darin schwimmenden Zigarettenstummel entfernte. Vielleicht hielt sich sogar ein Mädchen in der Küche auf, obwohl Jeremy die Grenzen seiner Fantasie kannte.
    Aber er bekam nie eine Einladung.
    Uhren hingegen… Uhren waren anders. Er wusste, was Uhren ticken ließ.
    Sein voller Name lautete Jeremy Uhrsohn, und das war kein Zufall. Er gehörte zur Uhrmachergilde, seit er ein paar Tage alt war, und jeder wusste, was das bedeutete. Es bedeutete, dass sein Leben in einem Korb vor einer Tür begonnen hatte. Alle wussten, wie so etwas vor sich ging. Alle Gilden nahmen die Findelkinder auf, die mit der Morgenmilch kamen. Es war eine alte Form der Wohlfahrt, und es gab weitaus schlimmere Schicksale. Die Waisen blieben am Leben, bekamen eine Ausbildung, einen Beruf, eine Zukunft und einen Namen. Viele feine Damen, Künstler und Würdenträger der Stadt hatten einen vielsagenden Nachnamen wie Ludd, Teigig, Punkel oder Uhrsohn. Sie waren nach Gewerbegrößen oder Schutzgöttern benannt worden, und in gewisser Weise wurden sie dadurch zu Mitgliedern einer großen Familie. Die Älteren wussten, woher sie kamen, und sie nahmen das Silvesterfest zum Anlass, den jüngeren Brüdern und Schwestern des Korbs Leckereien und Kleidung zu schenken. Es war nicht perfekt, aber wo gab es schon Perfektion?
    Jeremy wuchs gesund auf und wurde zu einem recht seltsamen jungen Mann, ausgestattet mit einem Talent für sein Adoptivhandwerk, das fast einen Ausgleich schuf für all die anderen Begabungen, die er nicht besaß.
    Die Ladenglocke läutete. Jeremy seufzte und ließ das Augenglas sinken. Er beeilte sich nicht. Im Geschäft gab es viel zu sehen. Manchmal musste er sogar hüsteln, um die Aufmerksamkeit eines Kunden zu wecken. Nun, manchmal musste er hüsteln, um beim Rasieren die Aufmerksamkeit seines Spiegelbilds zu wecken.
    Jeremy versuchte, eine interessante Person zu sein. Allerdings gehörte er zu den Leuten, die, wenn sie eine interessante Person werden wollten, zunächst einmal nach einem Buch mit dem Titel Wie man eine interessante Person wird Ausschau hielten und dann herauszufinden versuchten, ob es entsprechende Kurse gab. Es erstaunte ihn immer wieder, dass man ihn für einen langweiligen Gesprächspartner hielt. Immerhin konnte er über alle Arten von Uhren sprechen. Mechanische Uhren, magische Uhren, Wasseruhren, Feueruhren, Blumenuhren, Kerzenuhren, Sanduhren, Kuckucksuhren, die seltenen herschebianischen Käferuhren… Aber aus irgendeinem Grund verlor er immer seine Zuhörer, bevor ihm die Uhren ausgingen.
    Er trat in den Laden und blieb abrupt stehen.
    »Oh… bitte entschuldige, dass du warten musstest«, sagte er. Es war eine Frau. Begleitet wurde sie von zwei Trollen, die neben der Tür Aufstellung bezogen. Ihre dunklen Brillen und die großen, schlecht sitzenden schwarzen Anzüge gaben sie als Leute zu erkennen, die ziemlich unsanft mit anderen Leuten umgehen konnten. Einer von ihnen ließ die Fingerknöchel knacken, als er Jeremys Blick bemerkte.
    Die Frau trug einen geradezu riesigen und sehr teuren weißen Pelzmantel, was vielleicht die Trolle erklärte. Langes schwarzes Haar fiel über ihre Schultern, und das Gesicht war so blass, dass es fast an
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