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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis
Autoren: Ilsa J. Bick
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gezogen. Ich beobachtete die Schatten, die über die Decke krochen, und versuchte, an gar nichts zu denken. Aber das Denken ließ sich nicht abstellen.
    Eins war klar: Ich hatte Eisenmanns Scheune angesprüht. Das konnte nur bedeuten, dass ich schlafwandelte – und sogar schlaf radfuhr . Das erklärte auch meine nassen Turnschuhe. Ich hatte Muskelkater in Schultern und Armen, weil ich mich an einem Seil vom Heuboden der Scheune heruntergelassen hatte. Mit einer Hand hatte ich mich festgehalten,mit der anderen gesprüht. Das bestätigten auch die roten Farbreste unter meinen Fingernägeln.
    Mein Alptraum ging mir wieder durch den Kopf: Pferde, Blut und rufende, schreiende Männer. Eine Heugabel.
    Zufällig fiel mein Blick auf meinen Schreibtisch. Dort lag mein Zeichenblock und obendrauf ein Bleistift mit einer bis aufs Holz runtergemalten Mine. Da stimmte etwas nicht! Den Bleistift hatte ich gestern vor dem Schlafengehen noch angespitzt, das wusste ich genau. Wie im Traum griff ich nach dem Block und schlug eine Seite nach der anderen um …
    Erst bei der vorletzten Zeichnung packte mich ein krampfhaftes Zittern.
    Die Zeichnung zeigte die Scheune, die ich heute Nachmittag zum ersten Mal gesehen hatte.
    Und auf dem letzten Blatt: ein Blick über die Stadt von weit weg und hoch oben – aus der Heutür auf der Ostseite der Scheune. Ich erkannte die Felder und Hügel wieder. Die helle Fläche dahinter war der See, auch die Schornsteine der Fabrik fehlten nicht und der eckige Glockenturm gegenüber vom Rathaus …
    Doch ich entdeckte auch ein Gebäude, das ich nicht kannte. Es hatte einen Zwiebelturm wie eine russische Kirche. So einen Turm gab es hier in Winter nicht. Vielleicht gibt es auf der anderen Seite so ein Gebäude? , schoss es mir durch den Kopf.
    Mir brach der kalte Schweiß aus. Es war noch nie vorgekommen, dass sozusagen eine Osmose zwischen meiner Welt und der anderen Seite stattgefunden hatte. Ich hatte mir immer vorgestellt, dass meine Eltern auf der anderen Seitewaren und nicht mehr zurückkonnten. Vielleicht konnte im Gegenzug alles, was von dort zu mir herüberkam, nicht mehr auf die andere Seite zurück, weil eine Art Gleichgewicht gewahrt werden musste.
    Und das seltsame Raunen? Hatte es vielleicht überhaupt nichts mit mir selbst zu tun? Hatte ein fremdes Wesen von mir Besitz ergriffen und hockte jetzt in meinem Schädel?
    »Schluss jetzt!« Meine Stimme klang ganz piepsig. »Mach dich nicht verrückt.«
    Aber ich konnte die Gedanken nicht unterdrücken. Den Stöpsel ziehen und den Flaschengeist rauslassen: So hatte es Tante Jean genannt, wenn einem etwas im Kopf herumschwirrt, was man nicht loswird. Wenn man erst mal eine Idee hat, kann man sie nicht mehr ungedacht machen.
    Dann eben nicht.
    Also. War es denkbar, dass nur mein Körper zur Scheune geradelt und mit roter Farbe herumgesprüht hatte, ohne dass ich selbst dabei gewesen war?
    Ich lag auf meinem Bett und grübelte. Dann heulte ich wieder, mit dem Kopfkissen auf dem Gesicht, für den Fall, dass Onkel Hank nach Hause kam. Als ich so dalag, stellte ich mir vor, was passieren würde, wenn ich mit dem Kissen auf dem Gesicht einschlief. Wie lange brauchte ein Erwachsener wohl, um einen gestörten Jugendlichen zu ersticken? Und war Ersticken sehr qualvoll …?
    Lauter so blödsinniges Zeug.
    Ich bekam nicht mit, dass ich irgendwann einschlief. Ich merkte nur, dass ich ganz benebelt wurde, meine Gedanken abwanderten und heiß, die Julisonne brennt so heiß, dass einem die Augen wehtun, und Staub, der nach glühendem Metall riecht, weil der Wind heute ungünstig steht.
    ich laufe die Hauptstraße runter, weil heute der Zug eintrifft, und alle sind aufgeregt und ängstlich, weil SIE heute kommen …
    Papa ist hinten in der Keramikwerkstatt, wo kein Ruß und kein Staub hingelangen dürfen. er malt etwas mit vielen Schnörkeln und Blumen, und ich darf eigentlich gar nicht rein, aber ich glitsche durch die Tür wie ein Melonenkern und da bin ich.
    was soll das, knurrt er, was machst du hier?
    … komm, Papa, ich ziehe ihn an der Hand – komm, komm …
    er kommt mit, weil wir alle neugierig sind … am Gleis hat sich eine Menschenmenge versammelt, und Marta ist auch da, sie trägt ein duftiges weißes Kleid und hat einen Strohhut mit einem roten Band auf dem Kopf, das zu ihrem Haarband passt. ich spüre, dass sich Papa darüber ärgert, aber Marta ist siebzehn und will eine Ausbildung zur Dolmetscherin machen, und sie ist so dickköpfig wie Papa,
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