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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis
Autoren: Ilsa J. Bick
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sodass Mama immer sagt, die beiden müssten eigentlich Iren sein und keine Polen.
    der Zug fährt ganz langsam, wir können alles gut sehen.
    die Gefangenen starren uns aus den offenen Güterwagen an, zwischen ihnen stehen Männer mit Gewehren.
    die Gesichter der Gefangenen sind starr wie aus Wachs oder Ton, und sie lächeln nicht und wir auch nicht.
    aber
    aber sie haben Augen wie Wölfe.
    golden und fremdartig und …
    ich schaue weg.
    … da ruht kein Segen drauf. Sheriff Cage steht neben Papa, und er hat blaue Augen, blau wie der Abendhimmel. mir wär’s lieber, die Ernte würde auf dem Halm verfaulen.
    die Männer von der Gewerkschaft und Papa laufen unruhig auf und ab, aber Mr Eisenmann ist zufrieden. er ist sehr reich, darum musste er nicht zum Militär, weil seine Eisenfabrik nämlich wichtig für den Krieg ist. sein Vater hat ihm die Fabrik überschrieben, und jetzt freut sich Mr Eisenmann über die Gefangenen, weil sie auf den Feldern und in der Fabrik und sonst wo arbeiten können.
    die Gewerkschafter sind nicht begeistert. Papa auch nicht. sie sagen: Eisenmann will uns zerschlagen.
    der Bürgermeister hält eine Rede. der Oberaufseher hält eine Rede. es ist so heiß, dass mir der Schweiß runterläuft und das Hemd auf meinem Rücken festklebt.
    Mr Eisenmann ist ganz golden, der Ring an seinem kleinen Finger, die dicke Uhrkette, die Knöpfe an seinem Leinenanzug, sogar seine Krawatte und seine Haare. er redet am längsten, darüber, dass die Gefangenen in den Wohnheimen auf dem Fabrikgelände untergebracht werden und dass sie gut für die Stadt sind. Er holt einen Gefangenen mit weißen Zähnen undblauen Augen zu sich aufs Podium. sie leuchten beide golden in der Sonne, und ich muss an die beiden Sterne im Sternbild der Zwillinge denken, von denen uns Mrs Grunewald in der Schule erzählt hat. Mr Eisenmann legt dem Gefangenen den Arm um die Schulter und nennt ihn mein Freund und meine rechte Hand und mein Bruder, aber ich glaube ihm nicht und die Gewerkschafter sind dagegen und allen voran mein Papa.
    dann redet der Gefangene, Mr Eisenmanns Freund, und er hat weiße Zähne und seine Augen sind noch blauer als der Himmel … seine Haut ist nussbraun, weil er die ganze Zeit im Freien ist. darum sehen seine Zähne besonders weiß aus, und er hat eine sehr schöne Aussprache … mit weniger Akzent als ich und ich schäme mich ein bisschen.
    der Sheriff schüttelt den Kopf. mein Sohn ist immer noch nicht wieder da. der Krieg ist aus, und mein Sohn weiß immer noch nicht, wann er heimdarf. dass jetzt Gefangene hergekarrt werden, wo doch unsere eigenen Jungs die Arbeit machen könnten … das ist nicht richtig … und es ist mir egal, wie viele Verwandte unsere Leute dort haben, meine Freunde sind sie alle nicht …
    Fotos werden gemacht, von Mr Eisenmann, dem Sheriff und den Männern mit den Gewehren und dem Gefangenen ohne Akzent und mit den weißen Zähnen …
    aber dann passiert etwas, was nur ich mitbekomme.
    der Gefangene schaut Marta an und sie schaut ihn an und dann lächelt sie. und dann passiert etwas mit seinem Gesicht.
    es schmilzt wie Wachs. sein Unterkiefer wird länger und seine Augen sind erst gelb und dann golden und seine Zähne sind spitz und scharf wie die Zinken einer Heugabel …
    und seine Lippen sind schwarz und er zieht sie hoch und er ist ein Wolf …
    er ist ein Wolf und nur ich hab’s gesehen und da ist Blut, ganz viel Blut, Papa, nein, nein, Papa nicht … nicht die Heugabel, nein … Blut auf meinen Kleidern und meinen Händen und das Blut ist klebrig und riecht wie ein im Regen stehen gelassener Milcheimer … die Pferde wittern das Blut und trampeln in ihren Boxen und schlagen aus und ich will weglaufen, weit weit weg weg weg, aber ich muss still sein, psst psst psst …
    dann umzingeln mich die Geister und sie stechen zu, sie halten mir den Mund zu, bitte nicht, ich muss schreien, laut schreien Papa, Papa, Papa, nein nicht …

III
    Als ich aufwachte, war es kurz nach ein Uhr nachts. Mein Mund schmeckte nach Staub. Es roch säuerlich nach verschwitzter Bettwäsche, und vor meinen Augen tanzten Bilder, die ich nicht verstand.
    Und … ach ja – ich war noch am Leben.
    + + +
    Es war Donnerstag, Frühstücksflockentag. Als ich mich kurz nach neun die Treppe runterschleppte, stand Onkel Hank schon in der Küche, einen Kaffeebecher in beiden Händen. Er drehte sich um. »Na, Christian, gut geschlafen?«
    »Geht so.« An meinem Platz stand eine Schüssel Schoko Smacks.
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