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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis
Autoren: Ilsa J. Bick
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Mein Biolehrer hat das mal »Denken mit der rechten Hirnhälfte« oder so ähnlich genannt.
    Zurück zum Gericht. Am Ende der Sitzung lautete meine Strafe folgendermaßen: Sozialstunden und Wiedergutmachung. Letzteres hieß auf gut Juristisch, dass ich den angerichteten Schaden beheben musste – also die beschmierte Scheunenwand überstreichen. Die Sozialstunden waren an sich nicht weiter schlimm. Ich sollte zweimal die Woche im Altenheim aushelfen. Bloß dass mich der Richter zu insgesamt achthundert Stunden verdonnerte, eine so lächerlich hohe Zahl, dass ich sie bis ins nächste Jahr hinein abarbeiten musste. Egal, es hätte schlimmer kommen können. Ich habe nichts gegen alte Leute. Wenn alte Leute über früher reden (soweit sie sich überhaupt noch erinnern können), finde ich das eigentlich ganz spannend. Und ich habe ja meine eigenen Großeltern nicht gekannt.
    Außerdem musste ich noch zum Psychiater. Auch zweimal die Woche. Anscheinend waren meine Testergebnisse nicht berühmt gewesen. Oder der Richter wollte auf Nummer sicher gehen, dass mir neben dem Streichen der Scheune, den Sozialstunden und der Schule nicht mehr allzu viel Freizeit blieb.
    Blöd war nur, dass ich Eisenmanns Scheune ja im Schlaf angesprüht hatte. In Anbetracht meiner Träume in letzter Zeit hatte ich Zweifel, ob sich der Geist so einfach wieder in die Flasche verziehen würde.

IV
    Samstag. Wieder so ein brüllheißer Hundstag. Ich fing mit der Scheune an. Eisenmann hatte inzwischen ein Gerüst aufbauen lassen.
    »Ganz schön hoch.« Onkel Hank hatte seinen Kollegen mitgeschickt, weil ich streng genommen unter Aufsicht des Gerichts stand. Als stellvertretender Sheriff erfüllte Justin Brandt die Anforderungen. Außerdem hatte er sich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet. Justin gehörte auch zu den wenigen Erwachsenen, die mich wie einen halbwegs normalen Menschen behandelten. Das lag vielleicht auch daran, dass er nicht viel älter war als ich. Tante Jean hatte ihn sozusagen adoptiert, als sein Vater bei einem Unfall in der Fabrik arbeitsunfähig wurde.
    Justin packte eine Gerüststütze und rüttelte daran. Als uns nichts auf den Kopf krachte, sagte er zufrieden: »Scheint zu halten. Kannst rauf.«
    »Zum Glück hab ich keine Höhenangst«, schwindelte ich.
    Justin hakte die Daumen in den Gürtel. »Frag mich nicht, warum Eisenmann den alten Schuppen nicht einfach abreißt. Dass er dich die rote Sprühfarbe erst abkratzen lässt, nur damit du die Scheune hinterher rot anstreichst … das ist doch reine Schikane.«
    Das war noch untertrieben. Bevor ich nämlich irgendwas abkratzen konnte, musste ich die Sprühfarbe mit einem säurehaltigen Abbeizer anweichen, damit das Holz beim Kratzen nicht splitterte. Der Abbeizer stank zwar nicht, aber das Zeug griff die Haut an, weshalb ich einen Schutzanzug und Handschuhe anziehen und eine Schutzbrille aufsetzen musste wie ein Chemiearbeiter. Wenn der Abbeizer eingewirkt hatte, konnte man die Farbe abschaben, ohne das halbe Holz mitzunehmen. Ich konnte froh sein, wenn ich mich bei dieser Hitze nicht in eine Fettpfütze verwandelte.
    »Ich würde dir ja gern helfen«, sagte Justin, »aber wenn dein Onkel vorbeikommt und mich erwischt, macht er mich rund. Trotzdem komm ich mir blöd vor, wenn ich dir nur zuschaue und in der Nase bohre.«
    Er wollte mich zum Lachen bringen, was ihm auch gelang, und es tat mir gut. »Kein Problem.«
    »Hast du genug zu trinken dabei? Nicht, dass du einen Hitzschlag kriegst!«
    Ich beruhigte ihn diesbezüglich und ging an die Arbeit. Ein paar Krähen trippelten über den Dachfirst und flatterten krächzend auf, als ich das Gerüst hochkletterte. Dabei den Kanister mit dem Abbeizer mitzuschleppen, war nicht ganz ohne. Außerdem kam mir das Gerüst reichlich wacklig vor. Bei jedem Tritt auf der Leiter übertrug sich das Beben und Schwanken auf meine Handflächen. Die Krähen flogen über meinem Kopf hin und her, und ich dachte die ganze Zeit nur: Gleich kracht alles zusammen und ich breche mir das Genick.
    Als ich endlich oben war, stöpselte ich meinen iPod ein, setzte die Schutzbrille auf und legte los.
    Nach einer Weile hatte ich mich eingearbeitet, aber ichschwitzte wie ein Schwein. Der Schweiß sammelte sich in meinem Hosenbund. Justin hatte ein Buch eingesteckt. Er setzte sich in den Schattenstreifen auf der Nordseite der Scheune und tat so, als würde er lesen. Nach zwanzig Minuten schaute ich zu ihm runter und stellte fest, dass er den Hut über die Augen
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