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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis
Autoren: Ilsa J. Bick
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berichtete dem Rabbi von der Sache mit der angesprühten Scheune, wie ich im Altenheim Mr Witek begegnet war, von meinen Alpträumen und meinen Bildern. Dass ich die Mordszene in der Scheune gezeichnet und daraus geschlossenhatte, wo Davids Vater verscharrt war. Ich erwog sogar, ihm von dem Licht und von Dekker zu erzählen, ließ es dann aber doch bleiben.
    Der Rabbi unterbrach mich nicht. Als ich fertig war, schwieg er eine Weile, dann sagte er schlicht: »Ich glaube dir.«
    »Ehrlich?« Ich musterte sein Gesicht misstrauisch, aber sein Blick war freundlich und offen. »Na ja … es klingt ja schon alles ein bisschen verrückt.«
    »Als Moses behauptete, er habe einen brennenden Busch gesehen, der nicht verbrannte, oder als Jakob von der Engelsleiter träumte, hat bestimmt auch der eine oder andere gedacht, die beiden wären nicht ganz zurechnungsfähig.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass … dass Gott dahintersteckt?«
    »Das weiß ich nicht, und das ist vielleicht auch gar nicht wichtig. Natürlich liest man in der Genesis und im fünften Buch Mose von Menschen, die an der Schwelle zum Tod prophetische oder hellseherische Fähigkeiten entwickeln. Bei David Witek mag es ähnlich gewesen sein. Er wollte, dass die Toten nicht in Vergessenheit geraten, konnte sich aber selbst nicht mehr dafür einsetzen. Entweder hat er dich zu seinem Sprachrohr erwählt oder aber du hast mit ihm eine gedankliche Verbindung hergestellt, und dann hast du statt seiner etwas unternommen. Das war eine echte Mitzwa.«
    »Ist das so was wie eine gute Tat?«
    Er lachte. »Ich will es dir so erklären: In jeder jüdischen Gemeinde gibt es die sogenannte ›Chewra Kadischa‹, eine heilige Bruderschaft. Diese Männer und Frauen widmen sich dem Dienst an den Verstorbenen. Sie waschen und kleiden den Leichnam nach unseren religiösen Vorschriften und wachenbis zur Bestattung über ihn. Man nennt das auch eine ›Chesed shel Emet‹ , eine wahrhaft gute Tat. Eine selbstlose Gefälligkeit, denn die Toten können sich ja nicht mehr dafür revanchieren.« Er legte mir sanft die Hand auf die Schulter. »Eine solche selbstlose Gefälligkeit hast du David erwiesen. Ich kenne deine persönliche Glaubensüberzeugung zwar nicht, aber Gott wird es dir auf jeden Fall lohnen.«

1. NOVEMBER: NACHT
WINTER, WISCONSIN
    So – das war’s … in etwa.
    Heute Nachmittag wurde Sarahs Mom nach Milwaukee gebracht. Die Ärzte können ihre Genesungschancen bisher nicht einschätzen. Pfarrer Schoenberg ist noch hier in Winter, weil Sarah einen Tag länger im Krankenhaus bleiben soll. Dafür fährt Sarahs Tante nach Milwaukee, um bei Mrs Schoenberg zu sein.
    Ich würde auch gern noch hierbleiben und abwarten, was jetzt wird, aber das kann dauern. Und jetzt krieg ich das Ganze noch einigermaßen geregelt im Kopf und habe endlich auch den Mut, es zu versuchen. Denn das Raunen ist natürlich noch da.
    Rate mal, welcher Tag heute ist. Richtig: der Tag nach Halloween, haha! Ich habe nachgeschaut, es ist Allerheiligen. Der Tag zu Ehren jener, denen Gott einen Blick aufs Paradies gewährt hat.
    Ironie des Schicksals, was?
    Ich denke mal, Dr. Rainier weiß Bescheid. Wir sind zu keinem endgültigen Schluss gekommen, was eigentlich zwischen David und mir abgelaufen ist. Aber das macht vielleichtauch nichts. Ich glaube, sie hätte nichts dagegen, denn schließlich hat sie gesagt, es gehört zum Elternsein, dass man verlassen wird. Trotzdem bin ich froh, dass Onkel Hank nicht ganz allein ist, wenn ich weg bin. Man braucht keine übersinnlichen Fähigkeiten, um mitzukriegen, dass es zwischen den beiden knistert.
    Ich möchte das hier noch mal ausdrücklich klarstellen: Es soll keiner traurig sein oder sich mies fühlen, denn ich bin’s auch nicht. Nicht besonders jedenfalls.
    Ich hab dich lieb, Onkel Hank. Ich würde dich gern mitnehmen, aber das geht leider nicht, denn es ist dort zu gefährlich für dich. Du hast immer auf mich aufgepasst. Jetzt muss ich mal auf dich aufpassen. Ich hab dich trotzdem lieb.
    Bitte glaub nicht, dass du versagt hast. Auf gar keinen Fall! Ich muss jetzt einfach rausfinden, ob ich es schaffen kann. Ich will endlich wissen, was es mit dem Berg auf sich hat und wer sich dort aufhält. Ich hab da schon eine Idee.
    Wenn es tatsächlich Mom ist, muss ich rauskriegen, warum sie nicht zurückkommt. Vielleicht wird sie ja gefangen gehalten. Oder sie will wegen Dad nicht mehr dort weg. Oder … Oder sie will nicht zurückkommen, weil sie glaubt, unsere Welt
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