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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis
Autoren: Ilsa J. Bick
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starrte nur auf die alberne Friedhofskritzelei. Wieso hatte ich das gezeichnet? Wieso ausgerechnet heute? Wenigstens war das raunende Stimmengewirr in meinem Kopf abgeklungen, es rauschte nur noch wie ein altes Radio.
    Es klopfte diskret, und Onkel Hanks Sekretärin Marjoriesteckte den Kopf durch die Tür. »Ich habe endlich Madison erreicht, Sheriff. Und was soll ich Brandt sagen?«
    Onkel Hank fuhr sich mit der Hand über die Augen und antwortete matt: »Richten Sie ihm aus, er soll das Haus sichern. Wenn die Eigentümerin nicht rauswill …«
    »Sie weigert sich. Sie sagt, dann betritt sie den zweiten Stock einfach nicht. Mir ist unbegreiflich, weshalb jemand unbedingt an einem Tatort wohnen bleiben will.«
    »Mir auch.« Onkel Hank drehte sich zu mir um. »Geh schon mal mit Marjorie raus. Ich komme gleich.«
    Ich stand auf. »Es tut mir echt leid, Onkel Hank.«
    »Weiß ich«, sagte er und hatte schon den Hörer am Ohr.
    + + +
    Draußen fragte ich Marjorie: »Was ist los? Um was für einen Tatort geht es? Wer hat aus Madison angerufen?«
    Sie beantwortete die letzte Frage zuerst: »Die Rechtsmedizinerin. Sie wollte längst hier sein, aber sie muss sich mit einem schrecklichen Mehrfachmord in einer Siedlung bei Milwaukee befassen. Dort wollte eine Frau ihren Keller ausbauen und dabei haben die Arbeiter unter dem Betonboden eine Leiche entdeckt. Der Tote soll erst ein halbes Jahr dort gelegen haben, da wurde nämlich das Fundament gegossen. Jetzt werden die Nachbarhäuser mit Bodenradargeräten abgesucht, und in jedem Keller liegt eine Leiche. Der reinste Friedhof! Ja, ja … die Großstädte sind einfach überfüllt. Die Menschen leben auf zu engem Raum, und dann gehen sie aufeinander los wie Ratten im Käfig.«
    »Uff.« Was ein Rechtsmediziner war, wusste ich aus demFernsehen. »Und was will die Rechtsmedizinerin hier bei uns?«
    Marjorie antwortete nicht gleich. Sie war schon die Sekretärin von Onkel Hanks Vater gewesen und sah aus wie eine Frau, die eine Bande raubeiniger Männer besser im Griff hat als ein Feldwebel seine Soldaten: silbergraue Helmfrisur und lebhafte braune Augen hinter einer Nickelbrille mit Kette. Bei uns in Winter gab es nur wenige Leute, die mir nicht mit Misstrauen begegneten beziehungsweise mich nur wegen Onkel Hank duldeten. Marjorie gehörte zu diesen wenigen. Wir kamen echt gut miteinander aus. Als ich klein war, holte sie mir immer Limo aus dem Kühlschrank der Wache. Über die Jahre habe ich bestimmt so viel Orangenlimo getrunken, dass ein Ozeandampfer drauf schwimmen könnte.
    »Komm!« Sie scheuchte mich in den Besprechungsraum, zog die Tür hinter sich zu und erzählte: »Du kennst doch das alte Ziegler-Haus, die große Sandsteinvilla in der Nordstadt, oder?« (Ich kannte die Villa zwar nicht, aber ich wollte Marjorie nicht unterbrechen.) »Also, die neue Eigentümerin lässt im zweiten Stock die ehemaligen Dienstbotenzimmer renovieren, und die Arbeiter haben einen alten Kamin herausgerissen. Dabei haben sie eine Leiche entdeckt.« Marjorie machte eine Kunstpause. »Besser gesagt, eine Mumie. «
    »Mann! Wie kommt die denn dahin?«
    »Das weiß man nicht. Der Leichenbeschauer meint, die Leiche hat schon sehr lange dort gelegen. Darum lässt sich Madison auch Zeit, uns jemanden zu schicken. Dein Onkel sagt, es gibt kaum alte Unterlagen über das Haus, womöglich überhaupt keine, weil es so lange leer gestanden hat. DieZieglers waren nicht die ersten Besitzer, und sie haben die Villa jahrelang vermietet … womöglich erfahren wir niemals Näheres.«
    »Wie kriegt man denn einen Toten in einen Kamin? Da ist doch gar nicht genug Platz.«
    »Kommt drauf an. Es ist natürlich leichter, wenn es sich um ein Baby handelt.«
    Als ich das von der Babyleiche hörte, tat sich etwas in meinem Kopf, jedenfalls machte es wieder Klick . Es war ähnlich wie beim Zeichnen, nur nicht so angenehm. Ich wusste sofort, dass das Baby und Mr Eisenmanns angesprühte Scheune irgendwie zusammenhingen. Unsere Stadt war so klein und jeder hatte seit Generationen mit jedem zu tun. Es konnte nicht anders sein, auch wenn ich keinen blassen Schimmer hatte, worin der Zusammenhang bestehen sollte. Leider konnte ich mit niemandem über meine Erkenntnis reden – ich konnte sie ja nicht mal richtig benennen. Und selbst wenn, hätte man mich wahrscheinlich bloß für verrückt erklärt. Da ich das in den Augen der meisten Leute ohnehin war, hätte das doch prima gepasst.
    Trotzdem … Noch heute frage ich mich,
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