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Der Zauber der Casati

Der Zauber der Casati

Titel: Der Zauber der Casati
Autoren: Camille de Peretti
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erschreckende Bild einer gefallenen Königin, einer Frau, die allen Glanz der Welt erlebt hat und im Elend endet. Ihr Leben gleicht einem Märchen, das zur Tragödie wird; geboren als Erbin eines der größten Vermögen Italiens, starb sie vollkommen mittellos als Pennerin. Vielleicht hat mich das am meisten fasziniert, das rauschhafte Untergehen. Mich, die ich so vernünftig bin.
    Henry schenkte mir ihre Biographie, die dann fast sechs Jahre lang irgendwo in meinem Bücherregal schlummerte. Ich pflege fast zwanghafte Lektüresitten, bin überzeugt, dass es mir Unglück bringen würde, ein einmal begonnenes Buch beiseitezulegen, und so bin ich dazu verdammt, alles, was ich beginne, auch bis zum Ende durchzulesen. Und ich habe felsenfeste Überzeugungen, was den «richtigen Moment», den «Roman, den ich mir verdient habe» angeht. Oft sage ich: «Nein, nein, den nicht, für den bin ich noch nicht reif.» Bei der Casati-Biographie war es etwas anderes; Henry hatte mir so lang und breit von dieser Frau und ihrem außergewöhnlichen Schicksal erzählt, dass ich beschloss, erst einmal von ihr zu träumen, bevor ich über sie las. Ich dachte häufig an sie, es drängte mich anzufangen, zugleich hatte ich Angst vor der wirklichen Begegnung. Und als ich mir endlich einen Ruck gab, wurde mir klar, dass sie einer schrecklichen Ungerechtigkeit zum Opfer gefallen war. Nicht nur, dass sie dem breiten Publikum vollkommen unbekannt blieb, ihre Biographen hatten ihr verschiedene, gänzlich unpassende Etiketten aufgeklebt. Ich gehe methodisch vor. Ich gehe den Dingen auf den Grund. Ich beschloss, den Roman ihres Lebens zu schreiben, so, wie ich von ihr geträumt hatte, wie ich sie spürte, ganz und gar subjektiv.
    Aber ein Buch zu schreiben ist gar nicht so einfach. Anfangs ist alles neu und schön, wie frisch verliebt. Herzklopfen bei den ersten Worten, wie bei den ersten Küssen. Seite um Seite, in einem euphorischen Wirbel, bis zum letzten Punkt. Doch dann geht die eigentliche Arbeit erst los. Noch einmal von vorn, und alles muss korrigiert werden. Die erste Durchsicht hält unendliche Enttäuschungen bereit. «Das soll mein Buch sein?» Man fügt hier eine Kleinigkeit ein, streicht da ganze Absätze. Beim zweiten Durchgang will nichts mehr zueinanderpassen, die Figuren stehen auf wackligen Füßen, die psychologischen Situationen sind unglaubwürdig, der klägliche Stil tut fast weh. Der Verleger rät dazu, das Manuskript eine Weile ruhen zu lassen, es nicht mehr anzurühren, es am besten vorläufig zu vergessen. Dann zieht man erneut in den Kampf. Ganze Kapitel verschwinden, die Kommas rempeln sich gegenseitig an. Noch einmal mit frischer Kraft! Eines Tages ist es vorbei. Man ist befreit und schwört sich, keinen Rückfall mehr zu erleiden, sich eine ordentliche Arbeit zu suchen mit geregelten Arbeitszeiten und bezahltem Urlaub, eine respektable Arbeit. Und eines schönen Morgens dann ist er auf einmal da und steht vor uns: Der erste Satz eines neuen Romans. Diesmal ist es fast ein Alexandriner. Er lautet: «Das Neugeborene ist da, es schreit in seiner Wiege.»

D as Neugeborene ist da, es schreit in seiner Wiege. Ein Mädchen. Es wird Luisa Adele Rosa Maria Amman heißen. Gerade vor ein paar Stunden erst ist die Kleine zur Welt gekommen. Es stört mich nicht, ganz am Anfang zu beginnen. Sie methodisch anzugehen. So bekomme ich selbst auch gern Geschichten erzählt. Wir befinden uns am 23. Januar 1881 im Städtchen Erba nördlich von Mailand. Nachts hat es Frost gegeben, und am frühen Morgen rinnt hinter den üppigen goldgelben Seidenvorhängen das Wasser an den beschlagenen Riesenfenstern der Villa Amalia hinab. Die Dienstboten bewegen sich auf Zehenspitzen, um die junge Mutter nicht zu stören, die in ihrem blutbefleckten weißen Nachthemd endlich eingeschlafen ist. Im Kinderzimmer lässt das Neugeborene unter dem Himmel aus Spitzenvorhängen und Bändern einen schüchternen Schrei hören.
    Natürlich ist der Vater enttäuscht. Er, der das väterliche Unternehmen weiterführt, hat sich einen Sohn gewünscht, dem er nicht nur seine Fabriken würde vererben können, sondern auch den Grafentitel, den Umberto I. ihm in Anerkennung seiner um die Baumwollindustrie erworbenen Verdienste verliehen hatte. Und jetzt wieder eine Tochter, die zweite. Liebt er wenigstens seine Frau? Ich stelle mir vor, wie er sich abends in der Bibliothek verkrochen hatte, umgeben von nie geöffneten Bänden, dafür mit einer guten Flasche Chianti und
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