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Der Zauber der Casati

Der Zauber der Casati

Titel: Der Zauber der Casati
Autoren: Camille de Peretti
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Schläfen, ich dachte, ich würde an Ort und Stelle zusammenbrechen. Den Tod dieses Mannes auskotzen, der mich so geliebt und den ich verlassen hatte. Die Männer beweinen, die mich geliebt haben, die ich verlassen habe. Jades und Caesars Tränen weinen. «Geh nicht weg. Entschuldige, entschuldige, ich tu’s nie wieder!» Ich war für niemanden eine Muse, aber ich ließ Herzen bluten. Age cannot wither her. Age cannot wither her. Ich konnte nichts mehr sehen, wollte nur gequält und verknotet irgendwie heil zum Friedhof kommen, ich war doch wegen Luisa hier. Ich kann keine Biographie schreiben, dieses Buch ist ein Roman, Luisa ist ein Produkt meiner Vorstellungskraft. Ich bin eine professionelle, gewissenhafte Autorin: Ich schreibe einen Epilog.
    Beim Tor angekommen, versuchte ich ein Lächeln, um den Friedhofswärter für mich zu gewinnen, einen einarmigen Kahlkopf direkt aus einem Roman von Stephen King. Zu meiner großen Überraschung kannte er die Marchesa Casati, «that famous woman» , und konnte mir den Abschnitt sagen, in dem ihr Grab lag. Es war ein riesiger, wunderschöner Friedhof voller Dornenranken und Unkraut. Rest in peace. Die grauen, verwitterten Grabsteine bildeten ein poetisches Durcheinander. Alte Obstbäume, die Stämme knorrig nach all den Jahren, Dornenbüsche zwischen den Gräbern. Ich las verträumt die Inschriften. In memory of our dearly beloved wife and mother. Luisa Casatis Grab lag seltsam abseits. Eine große Schmuckvase, mit einem gefalteten Tuch und einer Blumengirlande behängt – das Ganze aus Stein. Ich wusste, dass ihre Enkelin, Moorea, die Inschrift auf dem Sockel ausgesucht hatte, aus Shakespeares Antonius und Kleopatra. Age cannot wither her nor custom stale her infinite variety . Eine kleine Handvoll Freunde, meist Bekanntschaften jüngeren Datums, gab ihr, die sich immer geweigert hatte, an Beerdigungen teilzunehmen, auf dem Friedhof von Brompton das letzte Geleit.
    Es gab Spuren, die verrieten, dass noch andere Besucher hier gewesen waren. Ein Sträußchen im Regen faulender Nelken, dann, erstaunlich, eine halb abgebrannte weiße Kerze, am Sockel hing ein seltsames violettes Häkelarmband, dann waren da ein Herz aus Kunstharz, darin eingegossen winzige getrocknete Blumen, und schließlich ein klebriger Bonbon, halb geschmolzen, der einen weißen Streifen auf dem Stein hinterlassen hatte. Ich dachte mir, dass das doch etwas von schwarzer Messe an sich hatte und ich vielleicht einem Irrtum erlegen war. Ich hatte Luisas Faible für die okkulten Wissenschaften immer als einen Zeitvertreib abgetan, vielleicht weil ich Leute, die im Mondschein Bonbons auf Gräbern schmelzen lassen, nicht ernst nehmen kann. Vielleicht galt Luisa in Satanistenkreisen als Eminenz? Aber egal, ich würde ja wohl wegen einer Kerze meinen Roman nicht neu schreiben. Was mir dann wieder Freude machte, das waren kleine Plastikperlen, wie als Opfergabe in die Ecken und Winkel der Skulptur gelegt. Es hatte geregnet, der Boden war noch feucht, und ich kniete mich hin, vom Duft des frischen Grases umgeben. Mich überkam ein dankbares Gefühl. Da bist du also, meine Luisa, mein Schatz, meine Figur.

Die Zitate stammen aus folgenden Büchern:

    Man Ray, «Selbstportrait. Eine illustrierte Autobiographie», übersetzt von Reinhard Kaiser, Schirmer/Mosel Verlag, München 1983, S. 154, 157; Romaine Brooks und Natalie Barney, «Correspondance», Bibliothèque littéraire Jacques Doucet, Fonds Natalie Clifford-Barney; André de Fouquières, «Cinquante ans de panache», Horay 1951; Scot D. Ryersson und Michael Orlando Yaccarino, «Infinite Variety. The Life and Legend of the Marchesa Casati», University of Minnesota Press 2004.

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    Über Camille de Peretti
    Camille de Peretti, 1980 in Paris geboren, studierte Philosophie, gründete eine eigene Theatertruppe, arbeitete in England und Amerika im Finanzbereich und hatte eine Kochshow im japanischen Fernsehen. Sie lebt heute als freie Autorin in Paris. Bei Rowohlt erschien ihr Roman «Wir werden zusammen alt».

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    Über dieses Buch
    Eine junge Frau blickt auf ihren Ehealltag und in ihren Kleiderschrank und vergleicht ihre bescheidene Existenz mit dem extravaganten Lebensstil der verführerischen Gräfin Casati. Luisa Casati, die italienische Künstlerdiva, die Geliebte Gabriele d’Annunzios, gilt nach der Madonna und Kleopatra als die meistporträtierte Frau der Kunstgeschichte. Über hundert Künstler haben sie gemalt
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