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Der Zauber der Casati

Der Zauber der Casati

Titel: Der Zauber der Casati
Autoren: Camille de Peretti
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auf Knien anbeten
Auf dem Bauch, und keinen Stern am Himmel sehn als nur ihr rotes Haar
Oder aber ihr ins Gesicht spucken, dieser Frau!
Paul Verlaine, Une grande dame

O ft fragen mich die Leute: «Wie sind Sie eigentlich Schriftstellerin geworden?»
    Ich war fünfzehn, da bot mein Französischlehrer eine Schreibwerkstatt an. Es war eine Offenbarung. Mit bebender Stimme las jede Schülerin ihren Text laut vor. Kleinlaut lauschte ich den schriftlichen Hervorbringungen meiner besten Freundinnen Alexandra, Esther und Marie, die ich grenzenlos bewunderte. Im Jahr darauf eiferte ich Alexandras Vorbild nach und begann Tagebuch zu führen. Unsere Idole waren André Breton und Francis Ponge, wir rauchten heimlich Zigaretten und verfertigten voll tiefen Ernstes Oden an die Goldfische. Auf ihrem Bett stehend, deklamierte Alexandra Passagen aus ihrem Tagebuch. Ich hütete mich wohl zu gestehen, dass auch ich heimlich in meinem Zimmer Seite um Seite füllte. Ich wusste nicht, warum ich schrieb, war aber überzeugt, dass es mir ein unabweisbares Bedürfnis sei. Was ich allabendlich in das kleine Notizbuch der Marke Quo vadis kritzelte, fand ich weder gut noch schlecht, sondern dachte, der Sieg werde schon noch kommen. Ich war stolz auf die Regelmäßigkeit; allein die Disziplin war mir Zweck genug, wenn ich schrieb. Zugleich hatte ich einen unstillbaren Hunger auf Lektüre. Ich verschlang die Klassiker, die Hochliteratur; je höher die Bände sich in meinem Zimmer stapelten, desto tiefer sank der Mut, eines Tages selbst zur Feder zu greifen. Einen Roman schreiben, aber dann einen unsterblichen, sonst nichts! Bestürzt las ich in Nabokovs Verzweiflung : «Das Tagebuch, ich muss es zugeben, ist die niedrigste Form der Literatur.» Sorgfältig schrieb ich Zitate ab und unterstrich sie sauber, damit sie aus meinem Tagebuchtext hervorstachen. Meine Schrift war klein, eng, außer wenn ich betrunken war und den Stift vorm Einschlafen kaum halten konnte. Jetzt, fünfzehn Jahre später, schreibe ich fast krankhaft stur weiter jeden Tag mindestens eine Seite. Beharrlichkeit ist der Vorzug der Untalentierten.
    Mit zwanzig Jahren brach ich zusammen und ließ mitten während der Schulausbildung, die mich geradewegs zu einer Stelle im Höheren Dienst führen sollte, meine Ängste Oberhand über meinen Geist gewinnen. Ich kotzte, bis mir die Sinne schwanden. Ein Psychiater weckte mich auf und stellte sich meiner Anorexie in den Weg; dank seiner Hilfe fand ich ins normale Leben zurück.
    Und dann begegnete ich Caesar. Er war alles, wovon ich träumte: Er war frei, er war Künstler. Ich wollte Schauspielerin werden, um der langen Kleider, der Diademe und des roten Teppichs willen, aber auch, um jemanden zu inspirieren, um eine Muse zu sein. Wütend klammerte ich mich an diesen Traum. Doch nach einer Reihe von Castings musste ich mich den Tatsachen fügen: Niemand wollte mich. Caesar seinerseits legte bald die Pinsel aus der Hand, um nur noch an die Decke zu starren und zu jammern, die Welt sei zum Verzweifeln.
    Im letzten Semester der Handelsschule, die ich widerwillig besuchte, mussten wir nach einigen psychologischen Tests, die uns zur idealen Laufbahn verhelfen sollten, einen Bericht schreiben. Für mich der reinste Albtraum. Doch seltsam, es fiel mir ganz leicht, um nicht zu sagen, ich war glücklich. Ich verfehlte das Thema meilenweit, denn ich verfasste einen Bericht über mein ganzes bisheriges Leben, doch zum ersten Mal seit langem fühlte ich mich einfach wohl.
    Um die verflixte Ausbildung zu finanzieren, unter der ich doch so litt, machte ich zusätzlich eine Lehre in einer Handelsbank. Als ich am Tag nach dem Bericht aus dem Büro kam, ging ich mit Caesar in ein Straßencafé. Wir tranken einen übersüßen Kir und aßen dazu versalzene Chips, eine grässliche Mischung. Ich gab Caesar den Ausdruck dessen, was ich da am Tag zuvor geschrieben hatte. Er las es und musste weinen. Er sagte: «Ganz klar, du musst schreiben! Dafür bist du gemacht. Du bist eine Schriftstellerin, God damn it! » Und so entstand mein erstes Buch.
    Kurz darauf fand meine Mutter einen Aufsatz von mir aus der fünften Klasse wieder, zu dem Thema «Was ich einmal werden will». In pompös-poetischem Stil legte ich dort ausführlich dar, dass ich Schriftstellerin werden wolle, um die Menschen zum Weinen zu bringen. Na, wenn das schon auf die Kindheit zurückging, dann … war es mir wohl vorherbestimmt. Ich weiß nicht genau warum, aber der Traum, der Ehrgeiz des
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