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Der Zauber der Casati

Der Zauber der Casati

Titel: Der Zauber der Casati
Autoren: Camille de Peretti
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kleinen Mädchens war verschüttet, vergessen gewesen. Caesar hat ihn wieder befreit. Das habe ich ihm zu verdanken. Heute begleiche ich meine Schulden bei ihm.

I ch hatte nicht erwartet, dass es so kalt sein würde. Ich sehe noch die traurige Reihe der roten Backsteinhäuser im East Village vor mir, wie sie unter dem weißen Winterhimmel daliegen mit ihren Außentreppen aus verworrenem Schmiedeeisen. Mit meiner Steppjacke über dem zehn Kilo schweren Wollponcho, den meine Mutter mir gestrickt hatte, sah ich aus wie das Michelin-Männchen. So eingepackt konnte ich kaum gehen. Der bis an die Lippen ragende Rollkragen hatte den typischen feucht-sauren Geschmack nasser Wolle. Im erstbesten Laden hatte ich nach dem Weg gefragt, man hatte mir eine ferne Straße beschrieben, und ich hatte mich verlaufen. Eine junge Frau, die ungeschickt durch die eisige New Yorker Luft tappt und dem Glück entgegenlächelt, das sie erwartet. Man hatte mich herbestellt, hatte mir ein Flugticket geschickt, damit ich vier Tage lang in den Vereinigten Staaten arbeitete. Ich sollte in einem Film mitspielen. Das Skript hatte ich per FedEx bekommen: lange, umständliche Sätze, die ich gegen die Aufregung den ganzen Flug über einem Mantra gleich wiederholt hatte. Eingemummelt, die Mütze über die Ohren gezogen, eilte ich meiner Bestimmung entgegen – oder dem, was ich damals dafür hielt.
    Als ich die auf dem Umschlag angegebene Adresse erreichte, erkannte ich auf einen Blick, dass das nicht das ganz große Kino sein würde. Nichts à la Metro-Goldwyn-Mayer, sondern eine zum Studio umfunktionierte drittklassige Wohnung. Und da stand er, die Arme weit geöffnet, und begrüßte mich mit ekstatischem Lächeln. Ich erkannte ihn kaum wieder. Ich fand ihn alt und massig und viel zu viril.
    «Camille! Hi! How are you? »
    Die kleine Französin hätte dem amerikanischen Regisseur, der noch nie Regie geführt hatte, misstrauen sollen. Sie hätte wissen müssen, dass man nicht einfach so zum Filmstar wird, wenn man noch nie vor der Kamera gestanden, sondern nur zusammen mit ein paar anderen leicht zu beeindruckenden jungen Leuten ein bisschen Schauspielunterricht genommen hat.
    Es stank geradezu nach Dilettantismus und fehlenden Mitteln. Wahrscheinlich war das gesamte Budget des Films für mein Flugticket draufgegangen. Ich hatte von einem Filmteam geträumt, von Beleuchtern, Toningenieuren, Assistenten, die eifrig Kaffee bringen, ein knisterndes Walkie-Talkie am Gürtel. Hier jedoch erwartete mich eine einzige Kamera auf einem Stativ in einem bunt zusammengewürfelten Dekor mit verschossenem rotem Vorhang. Zwei Sessel. Drei Spotlights. Und er war allein. Ich landete unsanft in der Wirklichkeit.
    Er war in mich verliebt. Das wusste ich. Dieser viel ältere und narbengesichtige Mann. Schräg von ganz oben auf der Stirn bis in die Mitte der Wange verlief der Schmiss. Wie konnte mir das alles entgangen sein, als wir an der Place de l’Odéon Kaffee tranken, ein paar Monate zuvor? Ich hatte alles getan, um ihn für mich einzunehmen. Ich wollte diese Rolle unbedingt, ich lächelte, machte auf Kindfrau, auf geheimnisvoll, unberührbar, ganz die Pariserin. Ich glaube, ich hatte für das Treffen sogar eine Baskenmütze aufgesetzt. Ich weiß es nicht mehr genau, aber zuzutrauen wäre es mir gewesen.
    Kennengelernt hatten wir uns am Tag meiner Hochzeit. Eine meiner Freundinnen hatte ihn mitgebracht, und er gestand ihr, dass er sofort für mich entbrannt war, als er mich in meinem wallenden Brautkleid zum Altar schreiten sah. Ich sei die Frau seines Lebens, er wolle nichts anderes mehr, als mein nächster Ehemann zu werden. Sein donquichottesker Annäherungsversuch hatte Caesar und mich zum Lachen gebracht. Ich war verliebt und mir meiner Sache vollkommen sicher, schließlich würde meine Liebe ein Leben lang dauern, während seine von Anfang an unter dem Zeichen einer charmanten Hoffnungslosigkeit stand. Er allein war älter als wir beide zusammen. Errötend hatte er meinen Mann angestammelt: «Ihre Frau ist ein Engel, engelhafter als jeder Engel, ich möchte sie für mich.» Und mein grausamer Gatte lächelte: «Danke, mein Alter, ich weiß.» Mit hängenden Ohren und klopfendem Herzen flog er zurück über den Ozean und fing an, mir Mails zu schicken. Halb verliebte Worte, halb intellektuelle Ergüsse, und verwirrt auf jeden Fall. Vor jedem Satz entschuldigte er sich, seine Kommasetzung war chaotisch. Ich sei seine Muse, so schrieb er, ich inspirierte ihn. Er
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