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Der Zauber der Casati

Der Zauber der Casati

Titel: Der Zauber der Casati
Autoren: Camille de Peretti
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war ulkig. Und er war Regisseur. Also schrieb er mir eine Rolle auf den Leib, eine Rolle als Femme fatale, als Femme française. Geneviève, so hatte er meine Figur getauft. Ich versuchte kurz, ihm zu erklären, wie hoffnungslos veraltet dieser Name sei, doch da ihm auch Monique und Simone gefielen, ließ ich es lieber sein.
    Allmählich entfernten sich diese Mails immer weiter von der Wirklichkeit, von jenem Treffen und dem, was wir dabei besprochen hatten, um einer Phantasie-Geneviève Platz zu machen. Er begehrte sie nur noch so keusch, wie Lancelot Guinevere begehrte. Während der Episode in New York begriff er nur zu gut, dass ich eben keine mittelalterlich-höfische Prinzessin war, und nannte mich nicht mehr Geneviève. Doch auch nachdem er mich ein für alle Mal mit der Marchesa Casati identifizierte, unterschrieb er seine Nachrichten immer noch mit «Euer Lancelot».
    Mich amüsierte das Ganze sehr. Seine Mails waren geistreich, manchmal allerdings unverständlich. Bisweilen beschäftigte er sich gar nicht mit mir, sondern erging sich in nicht enden wollenden Abschweifungen. Mir machte das nichts aus, ich hatte bereits meine Erfahrungen mit einer einseitigen Freundschaft in Briefform, und so nahm ich sein Geplauder gnädig auf. Ich war in meinen Antworten sehr viel knapper und präziser, umso mehr, als ich es nicht gewohnt war, auf Englisch zu schreiben. Ich streute allerlei französische Wörter ein, worüber er sich kindisch freute, denn er beherrschte diese Sprache zwar nicht, fand aber, Französisch sei das Idiom der Liebe. Ich trieb mein Spiel mit diesem alten Mann. Ein freundschaftliches Spiel. Ich war unendlich verliebt in meinen Mann, und in meinem jugendlichen Überschwang meinte ich, ich täte ihm einen Gefallen: Es war doch nett von mir, seine Ergüsse zu lesen und darauf zu antworten. Ich war eine unvergleichliche Briefpartnerin. Er war so froh, sich zwischen den Zeilen als Ritter zu gerieren. Er besaß etwas, was ich haben wollte: eine Rolle. Ich war, was er wollte: ein Hirngespinst. Wir waren quitt.

    Auf der Schwelle seines als Trompe-l’œil gebauten Cinemascope-Studios, Tausende Kilometer von zu Hause entfernt, spürte ich meine Selbstsicherheit ins Wanken geraten. Wenn ich seine Muse war, musste ich es bleiben: die einzige Möglichkeit, nicht vergewaltigt zu werden und nicht zu enden wie jene Idealfrau, die Baudelaire mit allerlei hartnäckigen Oden beredet hatte, ihn zu erhören, um ihr am Morgen danach herablassend zu schreiben: «Vor wenigen Tagen noch warst du eine Göttin, das ist so bequem, so schön, so unverletzlich. Jetzt auf einmal bist du eine Frau.» Zermürbt durch die Kälte draußen, durch die Zeitverschiebung und die Straßen, die ich bis hierher hatte durchwandern müssen, beschloss ich, mich einfach auf einen der beiden Sessel sinken zu lassen und zu rufen: «Hi Henry! Oh! I’m exhausted!» , ohne ihm die Wange hinzuhalten, ohne ihm die Hand zu reichen. Ganz die Königin von Saba, gleich von Anfang an, er durfte mir gerade noch aus der unbequemen Steppjacke helfen. Jetzt konnte das Große Kino beginnen.

H enry war es, durch den ich die Marchesa Casati entdeckte. Und bis heute frage ich mich, wie er sie und mich zusammendenken konnte. Freilich, es gibt da gewisse Übereinstimmungen. Sie hatte Umgang mit sämtlichen Malern ihrer Zeit, ich war mit einem Maler verheiratet. Sie wollte eine Muse sein und ihr Leben zu einem Kunstwerk machen; ich kannte kein edleres Ziel als dieses. Sie war Italienerin, ich liebte das Land und seine Sprache, hatte meinen ersten Roman auf einer Reise nach Perugia geschrieben. Ansonsten liegen Welten zwischen Luisa Casati und mir. Sie war vor allem eine Exzentrikerin mit großer Geste, ich hingegen bin nur spärlich originell. Meine Rebellion in der Pubertät beschränkte sich darauf, dass ich ein Paar lila Doc Martens und ein falsches Piercing kaufte, das ich mir nur ein einziges Mal an den Nasenflügel zu klipsen wagte. Etwas später lief ich eine Zeitlang mit einem Diadem auf dem Kopf herum, doch damit wollte ich vor allem mich selbst erfreuen. Bisweilen trage ich grünen Nagellack, offen gestanden finde ich das hübsch. Außerdem stelle ich manchmal die Musik auf volle Lautstärke und hüpfe schreiend durch mein Wohnzimmer, aber ich weiß, das machen doch alle. Die Marchesa Casati trug diamantbesetzte Schuhe, hatte grün gefärbtes Haar, nahm alle möglichen Drogen, hielt sich eine Boa constrictor als Schoßtier und wohnte im Ritz. Sie bot das
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