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Der Zauber der Casati

Der Zauber der Casati

Titel: Der Zauber der Casati
Autoren: Camille de Peretti
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obgleich er sich als ebenso egozentrisch erwiesen hatte wie sie selbst, wusste Luisa, dass jetzt der einzige Spielkamerad auf Augenhöhe gegangen war, der eine verschwindende Welt erlebt und genossen hatte, genau wie sie.

D ann besetzte Hitler Polen, und Frankreich erklärte Deutschland den Krieg. Luisa verließ Paris, bevor die Stiefel der Nazis auf dem Pflaster hallten, und nahm ein Schiff nach London. In Frankreich und Italien war sie wieder tief verschuldet, England erschien ihr als ein Hafen des Friedens. Doch kurz nach ihrer Ankunft flog die Luftwaffe Angriffe über Big Ben und setzte die St. Paul’s Cathedral in Brand. Was tat sie, wenn die Sirenen heulten? Hatte sie Angst? Flüchtete die Casati mit der gewöhnlichen Plebs in die U-Bahn-Schächte? Auf den Straßen von Mayfair spielten die Kinder zwischen den Ruinen, die Marchesa hatte ein sehr großes, verfallendes Haus bezogen. Häufig traf sie Augustus John. Der einst von seinen Geliebten ausgehaltene Maler war jetzt reich und berühmt. Er sollte Luisa oft helfen. Er war es, der der alten, ruinierten Marchesa ein Bankkonto einrichtete und eine Handvoll treuer, großzügiger Seelen überzeugte, sie zu unterstützen, alte Freunde aus der Gesellschaft, die die Casati einst mit ihren Festen erfreut hatte – Lord Berners, Lord Arlington, Lord Tredegar, Tony de Gandarillas, den Duke of Westminster –, ihnen jedoch nahelegte, immer nur kleine Summen zu spenden, denn alles, was auf dem Konto eintraf, wurde augenblicklich wieder ausgegeben. Und häufig sinnlos. Lord Arlington berichtet, wie sie bis zu seinem Cottage in Dorset kam, um zu klagen, dass sie Hungers leide. Gerührt gab er ihr ein wenig Geld, das fast gänzlich für die Heimfahrt im Taxi draufging. Diesen Leuten kam es darauf an, dass Luisa nicht als Bettlerin endete. Sogar Axel Munthe, der Eigentümer der Villa San Michele, der Luisa jahrelang intensiv gehasst hatte, fasste Mitleid mit ihr. Sie zog in die Stratton Street 14 um. In zwanzig Jahren scheint sie an fünfzehn verschiedenen Adressen gewohnt zu haben. Es gibt Zeugnisse von Nachbarn, die sich mit ihr anfreundeten. Aber ihren Spuren genau zu folgen, ist extrem schwierig. Ich stelle mir vor, wie sie mit italienischem Akzent englisch spricht. Es gibt keinen schöneren Akzent als diesen, alles fängt an zu singen.
    Ich reiste nach London, eine Liste mit Adressen im Gepäck. In einem Notizheft hielt ich die Breite der Bürgersteige, die Höhe der Häuser und die Farbe der Backsteine fest. Ich ging im Regen durch den Green Park und wollte dabei an Luisa denken, doch London war zu voll von meinen eigenen schmerzhaften Erinnerungen, sodass ich nichts zustande brachte als diese Sammlung von Details und Fassaden.

    Wegen des Krieges musste man sich mit Essensmarken einrichten. Luisa verließ sich darauf, dass die Künstlerfreunde sie mit Drogen und Whisky versorgten, alles Übrige gab sie ihren Hunden, fünf kleinen, froschäugigen Pekinesen mit platter Schnauze. Luisa selbst war dünner denn je. Sie gewöhnte sich an, einen schwarzen Schleier zu tragen, der ihr Gesicht vollständig verhüllte, sie lüftete ihn nur in Gesellschaft von Menschen, denen sie voll und ganz vertraute. Die Contessa di Castiglione hatte sie immer fasziniert, nur hätte sie nicht gedacht, sie könne möglicherweise ihr Leben genauso beenden wie sie.

O ft besuchte Luisa Augustus John in seinem Atelier. Sie hegte den Traum, er könne sie porträtieren. Gemalt werden, ein letztes Mal. Die Marchesa mochte gealtert sein, aber ihre Überzeugungskraft war so frisch und jung wie je. Man braucht keine junge Frau zu sein, um zu kokettieren. Alte Damen können das auch sehr gut. Augustus willigte ein. Ich stelle mir ihre Freude vor. Sie wohnte in der obersten Etage von Hamilton House in Piccadilly, zum Hyde Park hin. Ich sehe sie triumphierend zum Atelier gehen. Umgeben von Ruinen und Schutt, sah sie vielleicht im Krieg das Spiegelbild ihrer Existenz, als wäre ganz Europa solidarisch mit ihrem persönlichen Niedergang. Doch an diesem Tag schien die Sonne, und Luisa lachte. Sie war der fröhliche Drachen. Noch morgens hatte sie ihren Freund Fred Rainer angerufen: «Hallo! Ich habe zehn Shilling! Was ist dir lieber – kaufen wir eine Flasche billigen Wein oder drehen wir eine kleine Runde im Taxi?» Im Grunde hatte sie sich nicht verändert, ihre Launen kosteten nur Pfennigbeträge, aber sie war immer noch genauso gierig. «Wichtig ist nur, sich zu amüsieren.» Auf hohen Absätzen
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