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Der Wolkenpavillon

Der Wolkenpavillon

Titel: Der Wolkenpavillon
Autoren: Laura Joh Rowland
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Masahiros Klugheit und auf seinen Einfallsreichtum - die meisten Jungen in seinem Alter spielten immer nur Ball oder machten Übungskämpfe mit Waffen aus Holz -, auf der anderen Seite machte es ihr Sorgen, dass Masahiro sich so oft mit dem gewaltsamen Tod beschäftigte. In seinem jungen Leben hatte er bereits zu viel Brutalität und Grausamkeit gesehen. Er hatte sogar schon getötet, wenn auch in Notwehr.
    Seine Eltern lebten gleichsam im Zentrum der politischen Stürme des Landes. Hinzu kam, dass sie in Masahiros Beisein immer zu offen über die Mordfälle geredet hatten, mit denen sie sich befasst hatten. Sie hatten immer gedacht, Masahiro sei zu jung, um zu begreifen, worüber sie und Sano sich unterhielten, aber sie hatten sich geirrt.
    Nun pirschte Masahiro sich an Leutnant Tanuma heran und tat so, als würde er über ihn stolpern. »Was ist das?«, rief er und lachte. »Oh, eine Leiche!«
    Reiko wusste nicht, ob sie sich über Masahiros ungebrochenen Sinn für Humor freuen sollte - nach allem, was er durchgemacht hatte - oder ob sie sich Sorgen machen musste, dass die schlimmen Erlebnisse den Jungen hatten abstumpfen lassen gegenüber Grausamkeiten. Auf jeden Fall war es nicht gut für Masahiro, dass er sich solche Spiele ausdachte, um sich die Zeit zu vertreiben.
    »Was ist das für ein rotes Zeug auf Leutnant Tanumas Sachen?«, fragte Reiko und hoffte, dass es kein richtiges Blut war.
    »Tusche!«, rief Masahiro.
    »Du solltest den Leutnant jetzt wieder seinen Dienst tun lassen«, sagte Reiko. »Es ist nicht seine Aufgabe, mit dir zu spielen.«
    Tanuma war als Reikos oberster Leibwächter stets an ihrer Seite, wenn sie das Anwesen verließ. »Oh, das macht mir nichts aus«, sagte er nun. Tanuma war ein zurückhaltender, ernster junger Mann, der Leutnant Asukai ersetzt hatte, Reikos Vertrauten, der im Jahr zuvor in Ausübung seiner Pflicht ums Leben gekommen war. Reiko vermisste den gut aussehenden, höflichen Asukai, der ihr mehr als einmal das Leben gerettet hatte. Aber Tanuma tat sein Bestes. »Wenn es dem jungen Herrn Spaß macht«, sagte er.
    »Verwöhnt ihn nicht zu sehr«, mahnte Reiko.
    Masahiro stromerte derweil durch das Schilf. »Wo ist die Mordwaffe? Ich hatte sie doch hier irgendwo hingelegt ...«
    Ein fröhliches Kichern ertönte hinter einem Blumenbeet. Dann steckte Masahiros zweijährige Schwester Akiko den Kopf zwischen den Blumen hervor und hielt einen Dolch in die Höhe, dessen Klinge rot verschmiert war.
    »He!«, rief Masahiro. »Du hast ihn gestohlen! Gib ihn her!«
    Als er sich seiner Schwester näherte, rannte sie kichernd davon. »Bleib stehen, du Diebin!« Masahiro jagte hinter ihr her, während Akiko den Dolch schwenkte. Ihre Zöpfe und ihr rosafarbenes Röckchen flatterten. Sie war glücklich, dass ihr großer Bruder, den sie über alles liebte, mit ihr spielte, denn meist beschäftigte er sich mit anderen Dingen.
    Reiko schnappte erschrocken nach Luft. »Masahiro! Das ist ja ein echter Dolch! Wie kannst du echte Waffen herumliegen lassen, wo deine kleine Schwester hier spielt? Sie könnte sich verletzen!«
    Reiko schloss sich der Verfolgungsjagd an. Als sie Akiko endlich zu fassen bekam, war sie verschwitzt und atmete schwer, und ihr Haar war zerzaust. »Das Spiel ist zu Ende«, sagte sie und nahm dem Mädchen den Dolch weg.
    Leutnant Tanuma sprang auf, verneigte sich hastig und machte, dass er wegkam.
    »Aber Mutter ...«, begann Masahiro.
    »Was ist mit deinen Schreibübungen?«, fragte Reiko.
    »Die sind fertig.«
    »Und deine Übungen in der Kampfkunst?«
    »Habe ich schon gemacht.«
    Reiko seufzte. »Kennst du denn keine Spiele, die nichts mit Mord und Waffen zu tun haben?«
    »Ja, aber die sind nicht so aufregend.« Als Masahiro zur Villa zurücktrottete, Akiko im Schlepptau, fügte er wehmütig hinzu: »Und es ist lange her, seit hier etwas Aufregendes passiert ist.«
    Tatsächlich war es mehr als ein Jahr her, seit der Tod des Fürsten Matsudaira die politische Fehde beendet hatte, die für Reiko und ihre Familie eine tödliche Bedrohung gewesen war. Reiko erschauerte, als sie an diese schreckliche Zeit zurückdachte, als sie und ihre Kinder in einem dauernden Belagerungszustand gelebt hatten, gefangen im eigenen Haus und unter ständiger Bewachung. Der letzte Angriff Fürst Matsudairas war erfolgt, indem er Meuchelmörder in die Villa eingeschleust hatte. Reiko und die Kinder waren dem Tod nur um Haaresbreite entronnen. Es war eine Zeit gewesen, die Reiko noch immer
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