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Der Wolkenpavillon

Der Wolkenpavillon

Titel: Der Wolkenpavillon
Autoren: Laura Joh Rowland
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Albträume bereitete. Sie war froh, dass diese Zeit vorüber war, und sah mit Besorgnis, dass Masahiro sie offenbar vermisste.
    Aber Masahiro war zu jung, um zu erkennen, in welcher Gefahr sie damals geschwebt hatten. Kinder - besonders kräftige und furchtlose Jungen wie Reikos Sohn - hielten sich für unbesiegbar. Masahiro blühte unter Bedingungen auf, die andere Menschen als erschreckend empfanden. Kein Wunder, dass er den Frieden, der zurzeit im Hause herrschte, langweilig fand.
    Und Reiko musste ihm recht geben.
    Anfangs war sie dankbar gewesen für die Ruhe und den Frieden. Es hatte ihr große Sorgen gemacht, dass Yanagisawa offenbar die Absicht hatte, seinen Vernichtungsfeldzug gegen Sano wieder aufzunehmen. Reiko wollte ihre Kinder ohne Angst großziehen und war glücklich, dass sie sich nicht jeden Tag Sorgen machen musste, ob ihr Mann heil und gesund nach Hause kam.
    Im Jahr zuvor hatte Reiko sich ganz ihren Aufgaben als Ehefrau und Mutter gewidmet. Sie war häuslicher geworden und hatte sich mit der Kunst des Blumensteckens und ähnlichen Dingen beschäftigt. Seit die politische Lage gefestigt war und es so aussah, als könnte Sano sein Amt ungestört ausüben, hatten viele Leute sich bei ihm einzuschmeicheln versucht. Mächtige Männer hatten ihn aufgesucht, hatten sogar ihre Ehefrauen in seine Villa geschickt, damit sie Reiko Gesellschaft leisteten, weil sie als Gemahlin Sanos den größten Einfluss auf ihn hatte. Oft brachten die Frauen ihre Kinder mit, damit sie mit Masahiro und Akiko spielen konnten. Einige der Frauen waren dumm und geschwätzig, andere klug und unterhaltsam, sodass Reiko die Besuche manchmal genossen hatte. Sie hatte sogar ein paar neue Freundinnen gefunden.
    Aber jetzt war es genug.
    Reikos alter, abenteuerlustiger Geist erwachte wieder zum Leben. Sie blickte zu den grauen Wolken hinauf, die während der äußerst nassen Regenzeit in diesem Jahr allgegenwärtig waren. Die Bäume, die Sträucher, das Gras - alles grünte in üppiger Fülle. Reiko spürte die Feuchtigkeit in der Luft, hörte den Gesang der Vögel. Sie genoss die Schönheit der Natur, vermisste jedoch die Herausforderungen und das Abenteuer.
    Nein, sie war nicht für ein betuliches, geregeltes Leben geschaffen, wie die Gesellschaft Japans es für eine Frau ihres Standes vorsah. Sie vermisste die Zeit, als sie häufig unterwegs gewesen war, um Frauen zu helfen, die in Not waren, oder um Sano bei der Aufklärung seiner Fälle zu unterstützen.
    Reiko holte tief Luft. Sie brannte darauf, endlich wieder eine Ermittlung zu führen.
    Aber wie? Und wann?

4.

    Sano ritt aus dem Nordtor des Palasts in Richtung des Tempels, bei dem Chiyo das letzte Mal gesehen worden war. Obwohl seit mehr als einem Jahr Frieden in der Hauptstadt herrschte, standen vor dem gewaltigen eisenbeschlagenen Tor immer noch Soldaten und bemannten auch das Wachhaus und die Türme, denn es konnte jederzeit zu Unruhen in der Bevölkerung oder zu einem erneuten politischen Aufstand kommen. Sano wurde von einer Abteilung seiner eigenen Soldaten begleitet, denn er traute Yanagisawa zu, dass er ihn am helllichten Tag angriff, nachdem er ihn so lange in Sicherheit gewiegt hatte.
    Sanos oberste Leibwächter, die Ermittler Marume und Fukida, ritten neben ihm auf der gewundenen Straße, die vom Palasthügel hinunter in die Stadt führte, wobei sie ihre Pferde im Schritt gehen ließen. Unter ihnen breiteten sich die grauen Ziegeldächer der Metropole aus wie ein Meer und verschwanden in der Ferne im Dunst und in den Regenschleiern, die über den Hügeln lagen. Der muskulöse, stets gut gelaunte Marume atmete tief die feuchte Luft ein. »Schön, mal wieder in die Stadt zu kommen«, sagte er. »Es kommt mir so vor, als wären wir eine Ewigkeit auf dem Palastgelände eingesperrt und zur Untätigkeit verdammt gewesen.«
    »Es tut mir leid, dass Eure Cousine vermisst wird, Sano -san «, sagte der ernste, düstere Fukida. »Aber ich muss Marume recht geben. Auch ich freue mich, dass wir endlich wieder einen Fall zu lösen haben.«
    Sano erging es nicht anders. Auch für ihn war die Herausforderung einer neuen Ermittlung wie eine Erlösung von endlosen Stunden am Schreibpult, von eintönigem Aktenstudium, langweiligen Besprechungen und der ständigen Notwendigkeit, Kämpfe und Feindseligkeiten innerhalb des bakufu zu entschärfen. Das war einer der Gründe, weshalb Sano beschlossen hatte, die Suche nach Chiyo selbst zu leiten, obwohl er dafür andere wichtige Dinge hatte
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