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Der Wolkenpavillon

Der Wolkenpavillon

Titel: Der Wolkenpavillon
Autoren: Laura Joh Rowland
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beiseiteschieben müssen.
    »Das ist jetzt das erste Mal, dass wir nicht für den Shōgun arbeiten«, sagte Marume erleichtert.
    »Ja«, pflichtete Fukida ihm bei. »Dieses Mal kann er uns nicht damit drohen, dass er uns einen Kopf kürzer macht, wenn wir versagen.«
    »Den Göttern sei gedankt für ihre kleinen Nettigkeiten«, sagte Sano.
    Er und seine Männer lachten, froh über ihre ungewohnte Freiheit. Doch Sanos Freude war nicht gänzlich ungetrübt. Er hatte Chiyo zwar noch nie gesehen, aber er war ihr Blutsverwandter. Er durfte ihr Schicksal nicht in die Hände anderer legen, nicht einmal in die seiner engsten Vertrauten. Und was, wenn er Chiyo nicht fand? Oder wenn er sie tot auffand? Dann hatte ein Vater seine Lieblingstochter verloren, ein Ehemann seine Frau und zwei Kinder ihre Mutter - und Sano hatte möglicherweise die Chance vertan, seinen ihm bisher unbekannten Familienzweig kennenzulernen.
    »Mein Bauch sagt mir, dass wir Eure Cousine finden«, sagte Marume.
    »Dein Bauch ist vom vielen Herumsitzen und dem reichlichen Essen dick und fett geworden«, spöttelte Fukida und verzog keine Miene.
    »Nein, glaub mir, heute ist dein Glückstag«, erwiderte Marume. »Selbst wenn wir die Frau nicht finden, kann Major Kumazawa uns nichts tun.«
    Dennoch hatte Sano Angst, dass er den Major enttäuschen könnte. Eigentlich hätte es ihm egal sein können, was ein Verwandter von ihm dachte, der ihn und seine Mutter verstoßen hatte, aber so war es nicht. Die Begegnung mit seinem Angehörigen aus dieser alten und vornehmen Familie hatte bei Sano Minderwertigkeitsgefühle hervorgerufen und ihn schmerzlich daran erinnert, dass er bloß der Sohn eines rōnin war. Wenn es Sano nicht gelang, Chiyo zu finden, war Major Kumazawas Geringschätzung in gewisser Weise gerechtfertigt.
    »Es muss seltsam für Euch gewesen sein, Verwandten zu begegnen, von denen Ihr nicht einmal gewusst habt, dass es sie gibt«, sagte Fukida.
    »Allerdings«, entgegnete Sano.
    Der Asakusa-Kannon-Schrein, Edos beliebtester Tempel, war der Kannon geweiht, der Bodhisattwa der Gnade und des Mitgefühls. Der Weg dorthin führte über die Ōshū Kaidō, die nördliche Fernstraße, die auf einem breiten aufgeschütteten Damm zwischen üppigen grünen Reisfeldern verlief, auf denen zurzeit nur ein paar Bauern und ein paar Wasserbüffel zwischen den verstreut liegenden, winzigen Hütten zu sehen waren. Die Luft stank nach Jauche, die auf den Feldern als Düngemittel eingesetzt wurde.
    Selbst an diesem nassen Nachmittag mitten in der Regenzeit ging es auf der Fernstraße lebhaft zu. Gruppen von Pilgern, auf Stöcke gestützt und Gebete sprechend, marschierten schnellen Schrittes dahin; Wandermönche schwankten unter der Last ihrer Bündel. Ganze Familien zogen zum Tempel, um den Segen der Bodhisattwa zu erbitten. Zwischen den gemeinen Bürgern, die zu Fuß unterwegs waren, ritten Samurai; nur sie hatten das Recht, zu Pferd zu reisen. Aber nicht alle Menschen, die auf der Ōshū Kaidō unterwegs waren, hatten religiöse Gründe für ihre Reise.
    Einmal mussten Sano und seine Leute ihre Pferde an den Straßenrand lenken, um einem Ochsenkarren Platz zu machen, der mit Dachziegeln beladen war. Solche Karren waren Regierungseigentum und die einzigen Gefährte, die nach den Gesetzen der Tokugawa die Fernstraße benutzen durften - ein Verbot, das den schnellen Transport von Kriegsgerät verhindern sollte, um Aufständen vorzubeugen, zumindest in der Theorie.
    Viele der anderen Reisenden waren gar nicht nach Asakusa unterwegs. Hinter dem Tempel befand sich das Vergnügungsviertel Yoshiwara, der einzige Ort in Edo, wo Prostitution gesetzlich erlaubt war. Reiche Kaufleute in Sänften, Scharen von Städtern zu Fuß, Samurai auf prachtvollen Pferden - sie alle strömten zu den Bordellen in Yoshiwara. Zwar war es den Samurai gesetzlich untersagt, das Vergnügungsviertel zu besuchen, aber trotzdem zogen sie in Scharen dorthin.
    Yoshiwara wiederum förderte das Geschäftsleben im Tempelbezirk, denn Männer, die zum Vergnügungsviertel reisten, machten häufig Rast auf dem Tempelgelände, um einen Imbiss zu sich zu nehmen und zu beten, wodurch sie das Weltliche mit dem Geistlichen verbanden.
    »Was hat Eure Cousine in Asakusa gemacht? Wenn sie einen Tempel besuchen wollte, hätte sie das doch auch in der Stadt tun können«, sagte Marume.
    »Stimmt. Aber hier draußen sind die Ländereien des Kumazawa-Klans«, entgegnete Sano.
    Sanos Onkel war im Auftrag des Shōgun für
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