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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger
Autoren: William Nicholson
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Gittertüren wurden aufgerissen und vor ihnen stand ein Trupp schwer bewaffneter Männer mit glatt rasierten Schädeln. 
    »Baraka-Spione!«, brüllte ihr Kommandant. »Sperrt sie ein! Sie werden bei Tagesanbruch hängen!« 
    Erst jetzt begriffen die Kinder, dass sie Gefangene von Omchaka waren. 
    Die drei Kinder wurden in einen Käfig geworfen, in dem sie gerade eben mit angezogenen Knien nebeneinander sitzen konnten. Nachdem die Tür verschlossen worden war, wurde der Käfig hoch gezogen und in der Luft hängen gelassen. Nun baumelten sie im Wind und wurden von ihren Wächtern verhöhnt und angespuckt. »Baraka-Pack! Zurechtgemacht wie Puppen!« 
    »Bitte«, flehten die Kinder. »Wir haben Hunger.« 
    »Warum sollten wir Essen an euch verschwenden? Ihr werdet sowieso morgen früh hängen.« 
    Die Chakas wirkten bösartiger als die Barakas – vielleicht lag das an ihren kahl geschorenen Köpfen –, aber davon abgesehen waren sie sich auffallend ähnlich: Sie trugen die gleichen sandfarbenen Gewänder, hatten das gleiche kriegerische Auftreten, das gleiche Waffenarsenal. Als die Wächter die Kinder weinen hörten, lachten sie und pufften sie durch die Gitterstäbe hindurch. 
    »Heulsusen!«, spotteten sie. »Morgen früh habt ihr einen Grund zum Heulen.« 
    »Wir werden nicht bis morgen früh am Leben bleiben«, erklärte Kestrel mit schwacher Stimme. »Wir haben seit Tagen nichts gegessen.« 
    »Ihr solltet aber besser am Leben bleiben«, rief der dickste der Wächter. »Wenn ich euch morgen früh tot finde, bring ich euch um.« 
    Darüber mussten die übrigen Wächter schallend lachen. 
    Der dicke Wächter lief rot an. »Habt ihr vielleicht eine bessere Idee? Wollt ihr Haka Chaka sagen, dass es keine öffentliche Hinrichtung geben wird?« 
    »Au ja, bring sie zwei Mal um, Pok! Das wird ihnen Angst einjagen!« Und sie lachten noch lauter. 
    Der dicke Wächter, der Pok genannt wurde, machte ein finsteres Gesicht und brummelte in sich hinein: »Ihr haltet mich ja für dumm, dabei seid ihr die Dummen und nicht ich, ihr werdet schon sehen, wartet’s nur ab…« 
    Als die Nacht hereinbrach und der Wind stärker wurde, beschlossen die Männer abwechselnd Wache zu halten. Der dicke Pok meldete sich als Erster und die anderen zogen ab. 
    Sobald Pok mit den Kindern allein war, näherte er sich dem Käfig und flüsterte heiser zu ihnen hinauf: »Hey, Baraka-Spione! Lebt ihr noch?« 
    Aus dem Käfig kam keine Antwort. 
    Pok stöhnte laut auf. »Bitte redet mit mir, Baraka-Pack. Ihr dürft jetzt nicht sterben.« 
    Kestrel antwortete mit schwacher, krächzender Stimme. »Essen«, wisperte sie. »Essen…« Das Wort erstarb auf ihren Lippen. 
    »Na gut«, erwiderte Pok nervös. »Wartet hier. Ich bring euch was zu essen. Rührt euch nicht vom Fleck. Ich hole euch Essen. Aber sterbt bloß nicht, okay? Versprecht mir, dass ihr nicht sterbt, sonst gehe ich nicht.« 
    »Es dauert nicht mehr lange…«, sagte Kestrel leise. »Ich werde immer schwächer…« 
    »Nein, nein! Das sollt ihr ja gerade nicht! Macht das bloß nicht, oder ich… ich…« Als er merkte, dass er ihnen nicht wirklich drohen konnte, versuchte er es mit Betteln. »Seht mal, ihr werdet doch sowieso sterben, deshalb kann es euch egal sein. Aber mir nicht. Wenn ihr in meiner Wache sterbt, werden sie mich dafür verantwortlich machen, und das ist doch nicht fair, oder? Ihr müsst zugeben, es wäre nicht meine Schuld, aber ich weiß genau, was passieren würde. Oh, Pok mal wieder, werden sie sagen. Pok vermasselt immer alles. Armer alter Pok, dumm wie ‘ne Lok. Das sagen sie immer und es ist nicht fair.« 
    Die Kinder gaben keinen Laut von sich. Pok geriet in Panik. 
    »Ihr dürft jetzt nur nicht sterben. Das ist die Hauptsache. Ich gehe jetzt. Das Essen ist schon unterwegs.« 
    Er eilte davon. Die Kinder verhielten sich weiterhin still, es könnte sie ja noch jemand anders beobachten. Allerdings war die Nacht jetzt sehr dunkel und die Leute blieben wegen des stürmischen Windes in ihren Behausungen. Kurz darauf kehrte Pok mit Brot und Obst in den Armen zurück. 
    »Hier«, keuchte er und schob die Brote zwischen den Gitterstangen hindurch. »Esst das auf! Esst alles auf!« Er wartete ängstlich ab, und als er sah, dass die Kinder zu essen begannen, stieß er einen erleichterten Seufzer aus. »Ja, so ist es gut! Nicht mehr sterben, okay?« 
    Je mehr die Kinder aßen, desto fröhlicher wurde Pok. 
    »Na also! Der alte Pok hat es diesmal
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