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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger
Autoren: William Nicholson
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leeren Bäuche dadurch nicht voller wurden, machte ihnen das nichts aus. 
    »Bitter«, beschwerte sich Kestrel und verzog das Gesicht. 
    »Bitter, bitter, bitter«, sang Mumpo. 
    Damit standen sie wieder auf und machten sich torkelnd auf den Weg. All die unüberwindlichen Schwierigkeiten vor ihnen schienen sich in Luft aufzulösen. Wie sollten sie die große Wüste durchqueren? Sie würden fliegen wie die Vögel und sich vom Wind tragen lassen. Sie würden schweben wie die Wolken am Himmel. 
    Während sie von den Schwingen des Tixy getragen den Großen Weg entlangtanzten, konnten sie plötzlich über ihre Ängste sprechen, darüber singen und lachen. 
    »Ha ha ha, die blöden Saren!«, trällerte Mumpo. 
    »Ha ha ha, Sar, Sar, Sar!«, johlten die Zwillinge. 
    »Mumpo war ein Tattergreis!«, sang Kestrel. 
    »Tatter, Tatter, Tattergreis!«, echoten sie alle. 
    »Wie fühlt man sich, wenn man alt ist, Mumpo?« 
    Mumpo führte ihnen einen Greisentanz vor und bewegte sich dabei übertrieben langsam. »Langsam und schwer«, sang er, während er mit ernster Miene vor ihnen herumtappte. »Langsam und schwer und müde.« 
    »Müde, müde, müde«, wiederholten sie. 
    »So wie im Untersee, als wir alle im Schlamm steckten.« 
    »Schlamm, Schlamm, Schlamm!« 
    »Dann fiel der Schlamm ab, und…« Er machte einen Luftsprung und ruderte wild mit den Armen. »Sar, Sar, hurra!« 
    »Sar, Sar, hurra!«, echoten sie. 
    Sie hakten sich ein, marschierten weiter wie die Saren und ahmten die Marschmusik nach. »Tarum-tarum-taraa! Tarum¬tarum-tar aa!« 
    So gelangten sie singend und marschierend vom Wald auf die Ebene. Hier blieben sie schließlich stehen. Als sie über die Wüste zum fernen Horizont blickten, ließ die Wirkung der Tixablätter allmählich nach und ihnen wurde wieder bewusst, dass sie hungrig waren, schrecklich hungrig, und weit weg von zu Hause. 
    Am liebsten hätten sie sich zum Schlafen hingelegt, um nie wieder aufzustehen, denn das Singen und Tanzen hatte ihnen die letzte Kraft geraubt. Doch Bowman wollte es nicht zulassen. Unnachgiebig beharrte er darauf, dass sie ihre Reise fortsetzten. 
    »Es ist einfach zu weit. Wir werden es niemals schaffen.« 
    »Das ist mir gleich. Wir müssen weiter.« 
    Also wanderten sie weiter, die untergehende Sonne immer zu ihrer Linken. Ein schneidender Wind kam auf, sie wurden immer langsamer, blieben aber nicht stehen. 
    Vor Erschöpfung taumelnd, schleppten sie sich mühsam weiter – angetrieben von Bowmans Entschlossenheit. 
    Langsam senkte sich die Dämmerung herab und schwere, dunkle Wolken jagten über den Himmel. Kestrel blieb stehen. Sie zog sich den Goldfaden über den Kopf, reichte Bowman die silberne Stimme und sagte leise: »Hier. Geh du weiter. Ich kann nicht mehr.« 
    Bowman umklammerte die Silberspange fest mit der Hand und schaute Kestrel in die Augen. Er sah ihre Scham darüber, dass sie nicht weitergehen konnte, doch tiefer und stärker als die Scham war ihre Erschöpfung. 
    Ohne dich schaff ich es nicht, Kess. 
    Dann ist es jetzt vorbei. 
    Bowman drehte sich um. Mumpo beobachtete ihn und wartete darauf, dass er ihnen neue Hoffnung gab. Doch Bowman hatte nichts mehr zu sagen. Er schloss die Augen. 
    Hilf mir, flehte er lautlos, ohne zu wissen, wen oder was er um Hilfe bitten sollte. 
    Wie eine Antwort darauf hörten sie plötzlich ein vertrautes Geräusch: ein fernes Knarren und Ächzen, das der Wind zu ihnen herübertrug. 
    Bowman schlug die Augen auf und alle drei drehten sich gemeinsam um. Hinter einer Anhöhe erhob sich langsam eine Flagge, die im Wind flatterte. Nach und nach kamen die Masten und Segel, die Aussichtstürme und die obersten Decks in Sicht. Dann die Hauptdecks, die auf allen Seiten von geblähten Segeln umgeben waren, und der ganze riesige Rumpf des Mutterschiffes, das langsam und knirschend aus der Dämmerung auf sie zurollte. 
    »Ombaraka!«, rief Kestrel aus. 
    Die Hoffnung gab den Kindern neue Kraft und so rannten sie auf die gewaltige fahrende Stadt zu, schwenkten die Arme und riefen, um die Aufmerksamkeit der Späher auf sich zu lenken. Und tatsächlich wurden sie entdeckt. Rumpelnd kam das riesige Schiff zum Stehen. Um die Kinder an Bord zu nehmen, wurde eine Aufzugskabine heruntergekurbelt. Sie kletterten hinein, umarmten einander und weinten vor Erleichterung. Schon wurde die Kabine knarrend aufwärts gezogen, an den unteren Decks vorbei, bis zur Kommandobrücke, wo sie mit einem Ruck hielt. Die
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