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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger
Autoren: William Nicholson
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Stimme in der Hand. Aber wo gehörte sie hin? 
    »In den Hals!«, rief Kestrel. »Der Schlitz im Hals!« 
    Jetzt war die Musik der Saren und das Stampfen ihrer marschierenden Füße deutlich von der Straße her zu hören. Mumpo suchte hektisch nach einem Schlitz und betastete das rostige Metall am Hals des Windsängers. 
    Hanno Hath beobachtete ihn gebannt und wünschte sich, so fest er konnte, dass er es schaffte. Los, Mumpo, los! 
    Auch Ira Hath beobachtete ihn und zitterte am ganzen Leib. Los, Mumpo, los! 
    Und plötzlich fühlte er ihn mit den Fingern, viel höher, als er erwartet hatte. Mit einem leichten, federnden Klicken fiel die silberne Stimme in den Schlitz, gerade als die ersten Saren singend und mit blitzenden Schwertern zwischen den Säulen der Arena auftauchten. 
    »Töten, töten, töten, töten…« 
    Der Windsänger drehte sich in der Brise, die Luft strömte in die großen Lederkellen und fand den Weg zur silbernen Stimme. Ganz leise begann es in den Schalltrichtern zu klingen. 
    Schon beim allerersten Ton, einem tiefen Vibrieren, blieben die Saren wie angewurzelt stehen. Wie erstarrt verharrten sie mit ihren erhobenen Schwertern und lächelnden, fröhlichen Gesichtern. Und überall in der Arena überlief die Menschen ein seltsamer Schauder. 
    Der nächste Ton war höher, sanft, aber durchdringend. Während sich der Windsänger im Wind drehte, wurde der Ton mal höher, mal tiefer und überlagerte das tiefe Summen. Dann erklang der höchste Ton von allen: eine kaskadenartig fallende Melodie, wie der Gesang eines himmlischen Vogels. Die Klänge schienen immer lauter zu werden und weiter zu reichen, so dass sie zuerst Rang für Rang die Arena einnahmen, dann die Tribünen und schließlich die Stadt dahinter. Die Konstabler, die Bowman und Kestrel festhielten, ließen die Kinder plötzlich los. Die Prüflinge betrachteten verwirrt die Prüfungsbögen auf ihren Tischen. Die Familien auf den Tribünen schauten sich gegenseitig an. 
    Hanno Hath verließ seinen Tisch. Ira Hath verließ die Tribüne des Grauen Bezirks. Pinpin kroch zwischen den untersten Bänken hervor, tapste auf den freien Platz hinaus und gluckste vergnügt. Der Gesang des Windsängers drang immer tiefer in die Menschen ein und alles veränderte sich. Man hörte, wie Prüflinge sich gegenseitig fragten: »Was tun wir überhaupt hier?« Ein Prüfling nahm die Prüfungsbögen von seinem Tisch, zerriss sie und warf die Fetzen in die Luft. Bald machten es ihm die anderen nach und lachten dabei wie Pinpin. Die Luft war ganz weiß vor lauter umherfliegendem Papier. Auf den Tribünen entstand ein großes Farbendurcheinander, als sich Kastanienbraun unter Grau mischte und Orange Scharlachrot umarmte. 
    Der Kaiser hörte die Musik des Windsängers oben in seinem Turm, riss das Fenster auf und warf seine Schale mit Schokoladenbonbons hinaus. Sie wurden rings um das Heer der erstarrten Saren verstreut. Dann drehte sich der Kaiser um, verließ sein Zimmer durch eine der vielen Türen und stieg die Treppe hinunter. 
    In der Arena ging Ira Hath verwundert die Ränge hinunter, auf denen die Menschen nun Kleidungsstücke tauschten, verschiedene Farbkombinationen ausprobierten und über den ungewohnten Anblick lachten. Sie sah Hanno mit ausgestreckten Armen aus der anderen Richtung kommen. 
    Unten, in der Mitte der Arena, umarmte sie Pinpin und drückte und küsste sie. Als sie sich umdrehte, stand ihr geliebter Bowman vor ihr, schloss sie in die Arme und küsste sie auf die Wangen. Dann kam Hanno mit Kestrel im Arm zu ihnen. Tränen liefen ihm übers Gesicht und da musste auch Ira vor Freude weinen. 
    »Meine tapferen Kinder«, sagte Hanno, während er sie alle umarmte und immer wieder küsste. »Meine tapferen Kinder sind zurückgekehrt.« 
    Pinpin zappelte aufgeregt in den Armen ihrer Mutter. »Bo lieb!«, rief sie. »Kess lieb!« 
    »O meine Lieben«, sagte Ira Hath, als sie ihre Familie in die Arme schloss. »O meine Herzenskinder.« 
    In dem Wirrwarr und dem Gelächter der Menge ging Maslo Inch unbemerkt zu Mumpo hinüber und sank langsam vor ihm auf die Knie. 
    »Vergib mir«, bat er mit zitternder Stimme. 
    »Ihnen?«, fragte Mumpo. »Warum?« 
    »Du bist mein Sohn.« 
    Eine Weile schaute Mumpo ihn nur überrascht an. Dann streckte er schüchtern die Hand aus und der Oberste Prüfer ergriff sie und drückte sie an die Lippen. 
    »Vater«, sagte Mumpo. »Ich hab jetzt Freunde.« 
    Maslo Inch fing an zu weinen. »Wirklich,
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