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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung
Autoren: Kimberley Wilkins
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nicht redete, und er redete selten. Einmal, ganz zu Anfang ihrer Beziehung, hatte sie ihm beim Pokerspiel zugesehen und bemerkt, wie stark sich die Pupillen von der Iris abhoben. Sie konnte in seinen Augen lesen, was er in der Hand hielt: Wenn er ein gutes Blatt hatte, weiteten sich seine Pupillen, bei einem schlechten verengten sie sich. So etwas bemerkte nur eine Frau, die einem Mann endlos in die Augen sah.
    Daraufhin hatte sie die anderen Männer am Tisch beobachtet und versucht, deren Karten vorauszusagen. Es war nicht immer einfach, vor allem bei Billy Wilder, dessen Augen fast schwarz waren. Doch wenn es um einen hohen Einsatz ging und die Männer sich am meisten um eine ausdruckslose Miene bemühten, merkte Beattie fast immer, wenn sie blufften. Henry hielt das alles für Unsinn. Sie versuchte, es ihm zu beweisen, aber er hatte sie von seinem Schoß geschubst und weggeschickt. Er hatte das Spiel verloren, weil er nicht auf ihren Rat gehört hatte, und war tagelang furchtbar schlecht gelaunt gewesen. Seither blieb sie dem Kartentisch fern. Es war ja auch nicht so wichtig.
    Cora winkte sie heran, vermutlich wollte sie klatschen. »Ist es zu fassen, was Ivy O’Hara da anhat?«
    Beattie sah zu Ivy, die einen glitzernden, mit Perlen besetzten Netzschlauch über einem seidenen Unterkleid trug, dazu eine Seidenblume um den Hals und Schuhe mit hohen Louis- XV -Absätzen. Das schimmernde Kleid betonte ihre breiten Hüften, während die augenblickliche Mode ganz auf schmale Hüften ausgerichtet war. Ivy konnte natürlich nichts dafür. Eine gute Schneiderin hätte den Stoff so drapiert, dass sie darin göttlich und hochgewachsen ausgesehen hätte.
    »Du liebes bisschen, sie sieht aus wie eine Kuh.«
    »Es liegt am Kleid.«
    Cora verdrehte die Augen. Beattie hatte an diesem Abend keine Lust auf die rasiermesserscharfen Analysen weiblicher Mängel. Sie hörte eine Weile niedergeschlagen zu und kehrte dann an die Theke zurück.
    Der Abend zog sich hin – Gläser klirrten, Männer lachten, das Grammophon spielte laute Jazzmusik, und über allem hing der unvermeidliche Rauch –, und Beattie war hundemüde. Sie wollte ins Bett. Das konnte sie aber schlecht sagen, denn Teddy nannte sie gern »Beattie Morgenstund«, und sie war oft bei Camille im Atelier erschienen, nachdem sie nur ein oder zwei Stunden geschlafen hatte. Heute Abend stand Beattie nicht der Sinn nach Lärm und fröhlicher Stimmung. Sie war gefangen in einer Blase aus Elend und Sorge.
    Schließlich stand Henry vom Tisch auf und raffte einen Haufen Fünf-Pfund-Noten zusammen. Es war ein guter Abend gewesen, und anders als seine Freunde wusste er, wann er aufhören musste. Als er durch den Raum ging, machten ihm die anderen Vorwürfe, die nicht nur scherzhaft gemeint waren. Er blieb an der Theke stehen und schien nicht zu hören, was seine Freunde sagten. Mit ernster Miene streckte er die Hand nach Beattie aus. Er strahlte eine schweigende Autorität aus, der sich niemand entziehen konnte. Beattie liebte ihn deswegen; andere Männer wirkten dagegen wie lärmende Tölpel. Ein einziger Blick auf seine Hand, das starke Gelenk und die sauberen, eckig geschnittenen Nägel, zeigte ihr, weshalb sie überhaupt in diesem Dilemma steckte. Ihre Haut wurde warm, wenn sie ihn nur anschaute.
    Er legte die Hand auf ihre Hüfte und zog sie an sich. Sie wusste, was er wollte. Das kleine Hinterzimmer mit der Liege, die zwischen leeren Kisten und Fässern stand, wartete auf sie. Wie immer überlief sie ein Schauer, als sie den Club verließen, in dem ein warmes Feuer brannte. Henry lachte sanft, sie spürte seinen heißen Atem an ihrem Ohr. Er glaubte, sie erschauere vor Lust. Beattie aber erkannte, wie unklug sie gewesen war, und die Erkenntnis ließ ihre Lust versiegen.
    Falls er ihr Zögern spürte, ließ er es sich nicht anmerken. Der letzte Lichtschein erstarb, als er die Tür schloss und sie umarmte.
    Die rauhe Wärme seiner Kleidung, das Geräusch seines Atems, der Schlag seines Herzens. Sie spürte ihn an sich, und ihre Knochen fühlten sich ganz weich an vor lauter Liebe. Wenn seine Freunde nicht dabei waren, wurde er zärtlich.
    »Mein Schatz«, sagte er mit dem Mund in ihren Haaren, »du weißt, dass ich dich liebe.«
    »Ich liebe dich auch.« Sie wollte es wieder und wieder sagen, mit immer größeren und leuchtenderen Worten.
    Er bettete sie sanft auf die Liege und schob ihren Rocksaum hoch. Sie erstarrte; er drückte sich fester an sie, und sie erkannte, wie
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