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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung
Autoren: Kimberley Wilkins
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und sagte: »Vielen Dank«, wie ihre Mutter es sich gewünscht hätte.
    Grandma brach in Gelächter aus. »Das klingt nicht sonderlich aufregend, oder?«
    Emma schüttelte den Kopf. »Weißt du, Grandma, wenn ich Ballerina werde, habe ich schon alles, was ich mir wünsche.«
    Grandma nickte. »Dann geht dein Traum in Erfüllung.«
    »Ja.«
    »Ich werde mein Versprechen trotzdem halten. Denn du brauchst etwas für danach. Eine Ballerina kann nicht ewig tanzen.«
    Doch Emma war in Gedanken bereits woanders. Die Vorstellung, ihren Traum zu verwirklichen, erfüllte ihre Nerven und Muskeln mit verzweifelter Energie. Sie musste sich bewegen.
Pas de chat. Petit jeté.
    »Emma«, sagte Grandma sanft, »denk bitte daran, dass Erfolg nicht alles ist.« Das klang traurig, weshalb Emma sich nicht zu ihr umdrehte.
    Sie tanzte einfach weiter.

[home]
    Eins
    Beattie: Glasgow 1929
    B eattie Blaxland hatte Träume. Große Träume.
    Nicht die verworrenen, unzusammenhängenden Fetzen, die einen im Schlaf heimsuchten. Nein, mit diesen Träumen tröstete sie sich vor dem Einschlafen, wenn sie in der eisigen Mietwohnung ihrer Eltern in dem Rollbett, das nach Bedarf herumgeschoben wurde, lag. Lebhafte, sehnsüchtige Träume. Ein Leben voller Mode und schöner Stoffe, in dem sie natürlich ein Vermögen verdiente. Ein Leben, in dem die trostlose Wahrheit über ihre trostlose Familie verblasste und schrumpfte und schließlich verschwand. Eins hatte sie sich jedoch nie vorgestellt: dass sie kurz vor ihrem neunzehnten Geburtstag von ihrem verheirateten Liebhaber schwanger werden könnte.
    Den ganzen Februar hindurch hatte sie wie besessen die Wochen gezählt, sich das Hirn zermartert und versucht, den zeitlichen Ablauf nachzuvollziehen. Wenn sie Essen roch, drehte sich ihr Magen um, und ihre Brüste waren empfindlich. Am 1 . März hatte Beattie endlich begriffen, dass in ihrem Körper ein Kind heranwuchs – das Kind von Henry MacConnell.
    An diesem Abend war sie in den Club gegangen, als wäre nichts geschehen. Sie hatte über Teddy Wilders Witze gelacht, sich gegen Henrys warme Hand gelehnt, die sich weit unten an ihren Rücken schmiegte, und die ganze Zeit gegen das Würgen angekämpft, das der Zigarrenrauch in ihr hervorrief. Der erste Schluck des Gin-Cocktails schmeckte beißend und sauer. Dennoch lächelte sie weiter. Sie war es gewohnt, auf dem schmalen Grat zwischen äußerem Schein und ihren wahren Gefühlen zu balancieren.
    Teddy klatschte zweimal in die Hände. Der Rauch stieg auf und hüllte die Männer ein, die mit ihren Cognacschwenkern um den runden Kartentisch saßen, der den ganzen Raum beherrschte. Teddy und sein Bruder Billy betrieben den nicht ganz legalen Spielsalon über dem durchaus legalen Restaurant ihres Vaters in der Dalhousie Lane. In diesem Restaurant hatte Beattie die Männer kennengelernt. Sie war damals Kellnerin gewesen, und ihre Eltern glaubten, das wäre sie noch immer. Teddy und Billy machten sie mit Henry bekannt und führten sie kurz darauf in den Club ein: in die dunkle, glitzernde Unterwelt von Glasgow, in der sich niemand dafür interessierte, wer sie war, solange sie hübsch aussah. Sie arbeitete die halbe Nacht und servierte Drinks, in den übrigen Stunden leistete sie Teddys Freundin Cora Gesellschaft.
    Cora klopfte neben sich auf die Chaiselongue. Die anderen Frauen hatten sich am Kamin versammelt. Cora, deren kurze Locken von einem rosa Samtband über den Ohren gehalten wurden, war die anerkannte Königin des Clubs. Die anderen hielten sich von ihr fern, um unvorteilhafte Vergleiche zu vermeiden. Beattie hätte wohl das Gleiche getan, hätte Cora nicht beschlossen, sie zu ihrer Busenfreundin zu machen.
    Nun ergriff sie Beatties Hand und drückte sie, das war die übliche Begrüßung. Beattie empfand große Ehrfurcht vor Cora, war aber auch zutiefst eifersüchtig auf deren stark geschminkte dunkle Augen und das platinblonde Haar, den lässigen Charme und den scheinbar nie versiegenden Strom fransenbesetzter Kleider aus Musselin oder Crêpe de Chine. Beattie tat ihr Bestes, um mitzuhalten. Sie kaufte Stoffe und nähte sich Kleider, die niemand von Pariser Modellen hätte unterscheiden können. Sie trug ihr dunkles Haar modisch kurz geschnitten, doch ihr offenes Gesicht und die großen blauen Augen machten jeden Hauch von Geheimnis und Verführungskraft zunichte. Cora war der selbstsichere Glamour angeboren, während Beattie darum kämpfen musste.
    Cora stieß eine langgezogene Rauchwolke aus.
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