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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung
Autoren: Kimberley Wilkins
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»Und, wie weit bist du?«
    Beatties Herz machte einen Sprung, sie blickte Cora scharf an. Ihre Freundin sah ungerührt geradeaus, die roten Lippen um die Zigarettenspitze geschlossen. Einen Moment lang glaubte Beattie, sie hätte sich die Frage nur eingebildet. Gewiss konnte man das schändliche Geheimnis, das sich tief in ihrem Inneren verbarg, nicht im grellen Licht des Clubs erkennen.
    Dann aber drehte sich Cora zu ihr um und lächelte, während sich ihre schön geschwungenen Augenbrauen hoben. »Beattie, du bist ganz grün im Gesicht von dem Rauch, und du hast deinen Wein nicht angerührt. Letzte Woche habe ich noch gedacht, dir könnte einfach schlecht sein, aber jetzt … ich habe doch recht, oder?«
    »Henry weiß es nicht«, stieß Beattie verzweifelt hervor.
    Cora streichelte nachsichtig ihre Hand. »Ich werde nichts sagen, versprochen. Komm, Schätzchen, tief durchatmen, du siehst völlig verschreckt aus.«
    Beattie gehorchte und zwang sich, entspannt und lässig dazusitzen, wie man es von ihr erwartete. Sie nahm eine Zigarette von Cora, obwohl sich ihr Magen zusammenzog. Niemand durfte etwas merken oder Fragen stellen. Vor allem nicht Billy Wilder mit seinen geröteten Wangen und dem grausamen Lachen; er würde es wahnsinnig komisch finden. Andererseits konnte sie es nicht ewig verbergen.
    »Du hast meine Frage nicht beantwortet. Wie weit bist du?«, fragte Cora so beiläufig, als hätte sie sich erkundigt, was Beattie in der Mittagspause gegessen hatte.
    »Ich habe seit sieben oder acht Wochen nicht geblutet«, murmelte Beattie. Sie kam sich unglaublich verletzlich vor, als hätte man sie gehäutet, und sie wollte nicht weiter darüber sprechen oder daran denken. Sie war nicht bereit, Mutter zu werden. Bei dem Gedanken wurde ihr eiskalt.
    »Also noch am Anfang.« Cora nahm ihre Puderdose aus der Handtasche und klappte sie auf. Vom Kartentisch drang Gelächter herüber. »Es besteht noch die Chance, dass es vorbeigeht.«
    Einen Moment lang hob sich der furchtbare Druck der Angst. »Stimmt das? Ich habe keine Ahnung. Ich weiß, ich bin dumm, aber ich …« Sie hatte Henry geglaubt, als er versprach, sich rechtzeitig zurückzuziehen, damit genau dies nicht passierte. Er hatte sich geweigert, andere Maßnahmen zu ergreifen. »Pariser sind für Pariser«, hatte er gesagt. »Ich weiß, was ich tue.« Er war dreißig und hatte im Krieg gekämpft, also hatte Beattie ihm geglaubt.
    »Hör mal«, sagte Cora leise. »Du kannst etwas dagegen unternehmen, Schätzchen. Jeden Tag heiß baden, Lebertran nehmen, umherrennen und dich völlig verausgaben.« Sie klappte die Puderdose zu und sprach wieder mit normaler Stimme. »Du bist noch am Anfang. Die Freundin meiner Cousine war im dritten Monat, als das Kleine einfach weggeblutet ist. Sie hat das winzige Ding mit ihren Händen aufgefangen, es war nicht größer als eine Maus. Trotzdem war sie am Boden zerstört. Hatte sich nach einem Baby gesehnt. War natürlich verheiratet.«
    Verheiratet. Beattie war es nicht, Henry hingegen schon. Mit Molly, dem irischen Wolfshund, wie er sie zu nennen pflegte. Er hatte Beattie versichert, dass es eine leblose Ehe sei, dass sie geheiratet hätten, weil sie glaubten, einander zu kennen, sich dann aber allmählich entfremdet hatten. Dennoch, Molly war seine Frau.
    Sie paffte wenig elegant die halbe Zigarette und entschuldigte sich damit, arbeiten zu müssen. Als sie das Tablett mit den Getränken brachte, warf sie einen sehnsüchtigen Blick auf Henrys eckigen Kiefer und das rotgoldene Haar. Wie gern hätte sie ihn berührt, doch sie wollte ihn nicht in seiner Konzentration stören. Sie wagte nicht, ihm von dem Kind zu erzählen. Warum schlafende Hunde wecken, wenn Cora sagte, dass es möglicherweise noch zu einer Fehlgeburt kommen könnte? Vielleicht wäre es morgen oder nächste Woche schon vorbei. Ein paar lange heiße Bäder wären sicher hilfreich, aber schwierig zu bewerkstelligen, da sie ein Gemeinschaftsbad auf ihrer Etage hatten. Ganz frühmorgens vielleicht, vor allen anderen …
    Henry blickte von den Karten auf und nickte ihr zu. So war Henry, keine großen Gesten, kein albernes Augenzwinkern oder Winken. Nur sein steter grauer Blick, der auf ihr ruhte. Sie musste sich abwenden. Er wandte sich wieder den Karten zu, während sie das Tablett zu der kleinen Theke in der Zimmerecke trug und die Gin- und Cognacflaschen auf den verspiegelten Regalen anordnete. Sie liebte Henrys seltsam blasse Augen. Sie sprachen zu ihr, wenn er
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