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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod
Autoren: Ole Kristiansen
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»Das ist schon mal nicht schlecht. Es bedeutet, dass du eine Frau mit einem hohen Maß an Intuition bist, die sich darum bemüht, in jeder schwierigen Situation immer beide Seiten zu sehen und zu berücksichtigen.«
    »Okay.« Damit konnte sich Jule gut arrangieren. Sie besaß in geschäftlichen Dingen tatsächlich ein gewisses Verhandlungsgeschick, und welche Frau würde sich dagegen verweigern, als besonders intuitiv bezeichnet zu werden? »Das fängt doch passabel an.«
    »Das Tarot lügt nie«, wisperte Caro. »Augen zu!«
    Jule zog die nächste Karte und legte sie auf Caros Anweisung neben die erste. Wieder raschelte es, doch diesmal war das leise Geräusch von einem ungeduldigen hohen Summen begleitet, das Caro von sich gab.
    »Alles klar?«, fragte Jule.
    »Scht!«
    Das Rascheln erklang zum dritten Mal.
    Was trieb Caro da nur?
    »Das ist deine Vergangenheit«, erklärte Caro.
    Jule schlug die Augen auf.
    »Der Wagen.« Ehrfurcht schwang in Caros Stimme mit.
    Jule betrachtete das Kartenmotiv: zwei Pferde – eines schwarz, das andere weiß – zogen einen Streitwagen, auf dem ein Zepter schwingender Jüngling stand. »Das mit der Vergangenheit ist aber falsch.«
    »Wieso?«
    »Der Wagen liegt doch in meiner Zukunft.« Sie dachte an den morgigen Tag und drückte ihren Daumennagel fest gegen die Kuppe ihres Zeigefingers, ein weiterer kleiner Trick, um die Furcht zu unterbinden, die in ihr aufwallte.
    Beinahe beleidigt schob Caro die Unterlippe vor und blies in einem scharfen Atemstoß durch ihre blonden Ponyfransen. »Willst du behaupten, Autos oder Wagen hätten in deiner Vergangenheit keine besondere Rolle gespielt?«
    »Doch, schon«, sagte Jule gedehnt. Ein Leugnen wäre sinnlos gewesen: Caro kannte sich in ihrer Vergangenheit ungefähr genauso gut aus wie ihr Therapeut.
    »Natürlich ist das deine Vergangenheit.« Sie rasselte die Bedeutung der Karte herunter. »Du hast eine unerschütterliche Willenskraft gezeigt und einen Kampf aufgenommen, den du gewonnen hast. Obwohl du manchmal in zu starren Bahnen denkst.«
    Jule zwang sich, nicht den Kopf zu schütteln. Gerade hatte die Befragung der Karten doch noch ergeben, dass sie flexible Lösungen für komplizierte Probleme fand. »Der echte Kampf kommt aber erst morgen.«
    Caro hatte weitaus weniger Hemmungen, energisch den Kopf zu schütteln. »Quatsch. Sonst hätte Lothar nicht gesagt, du wärst wieder so weit, selbst Autofahren zu können, und dein Chef hätte dir nicht dieses Projekt angeboten. Du hast schon deinen großen Triumph errungen. Lass uns weitermachen.«
    Beim dritten Anlauf wurde Jule schlagartig klar, warum ihr das mysteriöse Rascheln derart bekannt vorkam. »Blätterst du da unter dem Tisch in einem Buch rum?«
    »Was?«
    »Spiel nicht die Unschuldige.« Um ihre Freundin nicht vollends bloßzustellen, hielt Jule die Augen höflich geschlossen. »Du hast da ein Buch, oder?«
    »Und wenn?«, gab Caro zurück. »Es geht nicht darum, was man selbst weiß. Es geht nur darum, dass man weiß, wo alles Wichtige steht.«
    »Ach so.« Jule grinste. »Muss ich trotzdem die Augen zulassen?«
    »Absolut. Das schärft die inneren Sinne und …« Caro stockte.
    Jule fand, dass ihre inneren Sinne scharf genug waren. Sie wollte sehen, was Caro die Sprache verschlagen hatte. Offenbar musste es die dritte Karte gewesen sein: Aus einem brennenden Turm, in den zu allem Unglück auch noch der Blitz einschlug, sprangen zwei schreiende Menschen in die Tiefe. »Sag bitte nicht, dass das meine Zukunft ist.«
    »Nein, nein.« Caro nahm die Karte und schob sie unter die Frau in Blau. »Das ist das Hindernis, das du überwinden musst.«
    Jule gestand sich ein, dass diese Neuanordnung besser passte. Auf einer symbolischen Ebene waren Türme und Windräder nicht sonderlich weit voneinander entfernt. »Was weiß dein schlaues Buch über diese Karte?«, fragte sie.
    »Der Turm versinnbildlicht Chaos und Krisen«, sagte Caro zaghaft.
    »Na toll.«
    Caros Hand schoss vor, und schon stand der Turm auf dem Kopf. »So rum ist es aber richtig klasse. Eine chaotische, aber total aufregende Zeit.«
    Jule schmunzelte. Caro ging mit dem Tarot um wie mit einem Kasten Lego. Sie war bereit, die Karten so lange neu zu arrangieren, bis sie so lagen, dass Jule die meiste Zuversicht schöpfen konnte. Caro war eben ein echter Goldschatz, und weil das so war, machte Jule bei der nächsten Karte gern wieder die Augen zu. Beim obligatorischen Rascheln gluckste sie leise. Schade, dass sie
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