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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod
Autoren: Ole Kristiansen
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hören. Das Whiskyglas rutschte ihm aus den Fingern und zersprang auf den Dielen.
    »Lothar!«
    Bis sich Caro aus ihrer Decke befreit hatte, war er schon auf dem Flur. Die Badezimmertür schlug zu.
    Caro hastete ihm hinterher und rüttelte an der Klinke. Er hatte sich eingeschlossen.
    »Lothar? Alles in Ordnung?«
    Sie bekam keine Antwort. Sie lauschte an der Tür, und als sie begriff, was da an ihr Ohr drang, zitterten ihr die Knie: leise klatschende Schläge, ein kratzendes Knirschen.
    Als offenbar etwas zu Bruch ging, bückte sich Caro und spähte durch das Schlüsselloch. Lothar stand vor dem Waschbecken und drosch mit beiden Fäusten wieder und wieder auf den Spiegel darüber ein. Scherben rieselten ins Waschbecken.
    Caro schoss in die Höhe und trommelte gegen die Tür. »Mach auf! Mach sofort die Tür auf!«
    Beim dritten »Mach auf!« verstummten die Schläge.
    Sie wich einen Schritt zurück, der Schlüssel klackte im Schloss, die Tür schwang auf.
    Lothar schaute sie einen Moment an, als wäre sie eine Fremde. Er hatte die blutenden Hände halb erhoben, die Knöchel waren mit kleinen Scherben gespickt.
    All ihre Instinkte trieben Caro dazu an, vor diesem Mann, diesem Irren, diesem Monster zu fliehen, aber ihre Beine gehorchten ihr nicht. Sie war sicher, dass er nun genau so auf sie einprügeln würde, wie er eben noch auf sein Spiegelbild eingeprügelt hatte.
    Stattdessen blinzelte er einmal und taumelte nach vorn, um sie in die Arme zu schließen.
    »Caro! O Gott, Caro!«, raunte er an ihrem Ohr.
    Caro spürte seine Hände auf ihren Schulterblättern, warm und nass, als er sie enger an sich presste, als er es je zuvor getan hatte.

10
     
    Wie ein schwarzes Raubtier, das schon zum Sprung auf seine Beute geduckt war, stand es auf dem Firmenparkplatz. Keiner der anderen Fahrer, die ihren Wagen hier abgestellt hatten, schien sich dichter als zwei Plätze an die lauernde Bestie herangewagt zu haben.
    Jule tastete in ihrer Manteltasche nach dem Schlüssel. Beim puren Anblick des BMW – eines der größeren Modelle mit Stufenheck – krampfte sich ihr Magen zu einem harten Klumpen zusammen. Der Wagen löste eine Mischung aus Ehrfurcht und Grauen in ihr aus, wie sie auch Leute verspüren mochten, die sich bei einer Wanderung durch den Wald urplötzlich einem Keiler gegenübersahen. Diese Leute konnten allerdings einfach ruhig stehen bleiben, bis das Tier das Interesse verlor und davontrottete. Jule hingegen musste weitergehen.
    Die Blinker leuchteten auf, und ein kurzes Klacken hallte über den Parkplatz, als sie den Knopf am Schlüsselanhänger drückte, der die Türen entriegelte. Jule kam es vor, als wollte sie das Auto davor warnen, sich ihm zu nähern.
    »Meine Angst gehört zu mir, aber ich bin nicht meine Angst«, flüsterte sie. Das Mantra verlieh ihr genügend Kraft, um auf den BMW zuzugehen und die Fahrertür zu öffnen. Die Leuchte über dem Rückspiegel erhellte den Innenraum, der nach Kunstleder und den Resten eines herben Aftershaves roch.
    Jule zählte stumm bis drei und kletterte umständlich hinter das Steuer. Die erste Hürde war genommen. Sie zog die Tür zu, schloss die Augen und lehnte sich im angenehm weichen Sitz zurück, bis sie mit dem Nacken gegen die Kante der Kopfstütze stieß. Sie zupfte an ihrem Ohrläppchen und hörte erst damit auf, als es unter ihren Fingerspitzen ganz heiß geworden war. Sie wartete, bis ihr Herz nicht mehr ganz so heftig pochte, und streckte blind die Arme nach dem Lenkrad aus. Die Geräusche von draußen waren stark gedämpft, und sie gab sich eine Weile der Einbildung hin, das Rauschen des Verkehrs auf der Straße wäre das Wogen von Wellen, die zärtlich gegen einen traumhaften Strand brandeten.
    Sie öffnete die Augen und sah sich um. Das Handschuhfach war aufgeklappt. Merkwürdig. War es vorhin schon offen gewesen, und sie hatte es nur übersehen? Oder war es aufgegangen, als sie die Tür zugezogen hatte? Egal. Sie schloss es. Sie streifte den Schulterriemen ihrer Laptoptasche ab und verstaute sie im Fußraum vor dem Beifahrersitz. Na also. Sie hatte alles unter Kontrolle.
    Es war Zeit, das Versprechen einzulösen, das sie Caro gestern Abend noch gegeben hatte. Ob sie sie auf die ausgetauschte Karte hätte ansprechen sollen? Wozu? Das Tarot war doch ohnehin Humbug. Und hatte sie außerdem nicht eigens rasch in dem Buch, das Caro ihr hingeworfen hatte, nachgeschlagen, was darin zu der Karte zu finden war? »Der Tod steht nicht für einen physischen Tod,
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