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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod
Autoren: Ole Kristiansen
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verbunden war. Das war es selbstverständlich nicht. Es war bloß Dominanzgehabe, ein verbales Aufwerten der eigenen Männlichkeit.
    Jule spulte die Reaktion ab, die in dieser Lage am zweckdienlichsten war. Sie lachte abschätzig auf und sagte: »Überfordert? Höchstens dann, wenn ich nicht deine volle Unterstützung dabei habe, Norbert.«
    Schwillmer grinste breit, ganz der Freund kleiner Schmeicheleien. »Die hast du, Jule.« Er rüttelte an der Maus auf seinem Schreibtisch. »Ich habe Andreas angewiesen, alles, was du wissen musst, bei uns im Intranet abzulegen. Im Ordner ›Baldursfeld‹.« Es klickte zwei, drei Mal, ehe er zufrieden brummte. »Sieht so aus, als ob er wenigstens das hingekriegt hätte. Manche Leute machen aus dem letzten Mist noch Gold. Andreas gehört nicht dazu. Der macht aus echtem Gold den letzten Mist.«
    »Wo liegt das Problem?«, fragte Jule.
    »Darin, dass er es nicht fertiggebracht hat, einem Haufen Bauern zu erklären, dass sie sich glücklich darüber schätzen können, wenn wir den größten Windpark Deutschlands ausgerechnet in ihrem Kuhkaff bauen wollen.« Er zuckte die Schultern. »Dabei dachte ich, er kennt sich mit diesem Schlag Menschen aus.«
    »Machen die Entscheidungsträger dort so einen Ärger?«
    Schwillmer stand auf und ging zur Deutschlandkarte, die an der Wand rechts von seinem Schreibtisch hing und auf der die unterschiedlichen Projekte der Firma durch bunte Pins in Form kleiner Windräder markiert waren. Die meisten steckten im oberen Drittel. »Schau’s dir doch an.« Seine Hand wischte knapp unter der dänischen Grenze auf und ab. »Da gibt es nichts außer Kühe, Schafe … und jede Menge verbohrte Fischköppe, die sich vor Fremden und Fortschritt fürchten. Das ist buchstäblich der Arsch der Heide.«
    »Verstehe.« Die Heide lag zwar südlich von Hamburg, aber Jule korrigierte ihn nicht. »Bis wann müssen da die ersten Verträge stehen?«
    »Bis gestern«, knurrte Schwillmer. »Wenn nicht bald Schwung in die Sache kommt, war’s das. Dass die Leute nach Fukushima immer noch nicht aufgewacht sind. Unglaublich.«
    Jule setzte in voller Absicht eine nachdenkliche Miene auf, und dieses Mal war es ihr Chef, der die gewünschte Reaktion an den Tag legte. »Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, dass sich dieser Außeneinsatz auch finanziell für dich lohnt. Das wird dich richtig weiterbringen.«
    Sie nickte wissend. Wenn es doch auch nur so einfach gewesen wäre, endlich in ihrem Privatleben ein paar entscheidende Schritte nach vorn zu kommen.
    »Und das ist noch nicht alles«, fügte Schwillmer gönnerhaft hinzu. »Mag zwar sein, dass dich das als Frau nicht so anmacht, aber du kriegst dafür selbstverständlich auch einen netten Dienstwagen.«

3
     
    »Einen Dienstwagen?« Jule wurde heiß und kalt, und ihre professionelle Gelassenheit verwandelte sich in eine lähmende Beklemmung. Sie brachte es unter großen Mühen fertig, den dezenten Ring an ihrer linken Hand dreimal um den Finger zu drehen, wie sie es häufig tat, um etwas Zeit zu gewinnen, wenn ihre Angst sie zu überwältigen drohte. »Ich muss Auto fahren?«
    Schwillmer lachte auf, als hätte sie ihm einen mittelguten Witz erzählt. »Logisch.« Er deutete wieder auf die Karte. »Wie willst du sonst da hinkommen? Da gibt’s nicht mal eine Buslinie.« Seine hohe Stirn legte sich in Falten. »Oder hast du am Ende keinen Führerschein?«
    »Doch, klar«, murmelte Jule und legte vorsichtig ihre Hände ineinander, damit er nicht sah, wie sie zitterten. Sie konnte ihm unmöglich erklären, dass ihr Führerschein seit Jahren völlig unnütz eines der Kartenfächer in ihrem Portemonnaie besetzt hielt. Allein der Gedanke an eine Fahrt mit einem Dienstwagen schnürte ihr die Kehle zu und beschwor das Bild von blutigem Schnee in ihrem Gedächtnis herauf.
    »Na also.« Schwillmer verschränkte die Arme vor der Brust. »Dann arbeitest du dich heute noch schnell ein und fährst gleich morgen mal da hin, ja?«
    »Okay«, sagte Jule und spielte mit dem Gedanken, fristlos zu kündigen.

4
     
    »Sie haben die Möglichkeit erhalten, Ihr Leben zu ändern. Zögern Sie jetzt nicht, sondern ergreifen Sie diese Gelegenheit beim Schopf und wachsen Sie an Ihren Herausforderungen.«
    Bei jedem anderen Menschen, der ihr einen solchen Ratschlag erteilt hätte, hätte Jule nur gelacht. Nicht bei Lothar Seger. Im Kampf gegen ihre Angst hatte Jule bereits ein halbes Dutzend Therapeuten und Therapeutinnen verschlissen. Seger war der
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