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Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Titel: Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen
Autoren: Elke Heidenreich
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durch die Proteste an den Universitäten, aber daß hier etwas im Gange gewesen war, das die Welt dramatisch hätte verändern, ja, zerstören können – das begriff sie. Während sie zum ersten Mal Tage und Nächte mit einem Mann im Bett verbracht hatte, schwamm in der Karibik alles auf dem Wasser herum, was einen großen Teil der Welt in Schutt und Asche hätte legen können. Und sie erschrak darüber, wie sehr man, ist man mit sich selbst beschäftigt, der ganzen Welt den Rücken kehrt.
    Franka stürzte sich wieder in ihr Studium, beflügelt, ausgefüllt, und sie fing nur aus Spaß und um gerade Gelerntes auszuprobieren eine Affäre mit dem Volkskundedozenten an, dem sie mal zeigte, was eine Brötchenform ist.
    Heinrich und Franka sahen sich drei Wochen später noch ein letztes Mal und tranken ein wohltemperiertes Glas Bier miteinander.
    »Gib mir deine Telefonnummer«, sagte er, »ich schreibe nämlich das neue Telefonbuch.« Sprüche bis zuletzt, und sie konnte inzwischen gar nicht mehr darüber lachen, aber sie sah ihn an und dachte an ihre lehr- und lustreichen Nächte und war ihm dankbar. Aber Lust machte er ihr nicht mehr.
    Wenig später nahm Heinrich seinen Abschied vom Militär. Er hatte großen Ärger bekommen, weil er während der ganzen Kubakrise, als alles mobil machte, nirgends aufzufinden gewesen war. Jetzt ging er mit seiner Abfindung zurück nach Ulm, wo er einen Waschsalon aufmachen wollte.
    Franka vergaß ihn, aber nie so ganz. Ihre Beziehungen zu Männern waren gut, leidenschaftlich, unkompliziert. Sie hatte einige längere Liebesgeschichten in den nächsten Jahren und heiratete dann den Direktor einer Fabrik für Kupferdraht. Er war reich, sie war reich, sie waren glücklich. Franka nannte sich nun wieder Franziska und übersetzte Literatur aus dem Französischen und Italienischen. Ihr Mann und sie waren viel auf Reisen in der ganzen Welt, verstanden sich gut, hatten keine Kinder. Franziska wußte nicht genau, ob ihr Mann ihr immer treu war. Sie waren nicht das Paar, das sich andauernd mit Kontrollanrufen quälte, und Eifersucht war eine Eigenschaft, die sie beide für dumm und überflüssig hielten. Wenn man nicht zuviel nachspioniert, muß man auch nicht eifersüchtig sein, dachte Franziska, und ihr Mann dachte wohl genauso, und sie lebten gelassen und glücklich miteinander und zerhackten nicht das, was schön war, mit sinnlosen Fragen. Sie schliefen auch nach zwanzig Ehejahren noch gelegentlich und gern miteinander, und Franziska hatte ihn in all den Jahren nur zwei Mal betrogen – kurze Affären aus reiner Leidenschaft, jede nur für eine Nacht. Das zählte nicht. Ob es die Liebe wirklich gab, nach der sie immer gesucht hatte, das wußte sie nicht. Sie hatte das Gefühl, als gäbe es eine Menge Erwartungen in die Liebe, als gäbe es sogar Liebesbeweise, aber die Liebe selbst blieb so verborgen wie Gott im brennenden Dornbusch. Ein Phantom, das nicht zu fassen war. Aber es gab Berührungen.
    Im Herbst 1989 war Franziskas Mann in Neuseeland, um einen neuen Firmenabschluß für Kupferdraht zu tätigen, er blieb vierzehn Tage weg. Sie war in dieser Zeit zu einer Freundin nach München gefahren, mit der sie eigentlich Einkäufe und Theaterbesuche hatte machen wollen, aber der Vater der Freundin verunglückte, und sie mußte ihn pflegen. Franziska hatte sich in den Zug gesetzt, um zurück nach Hause zu fahren. Sie wohnte in der Nähe von Stuttgart.
    Es war ein grauer, melancholischer Tag. Franziska fuhr erster Klasse und sah in den Regen. Sie war jetzt sechsundvierzig Jahre alt und sehnte sich manchmal nach der unruhigen, quirligen Franka von damals, nach Verwirrungen, Herzklopfen, dem Tänzeln über den Boden, nach verwegenen Gedanken und spontanen Handlungen, aber sie war älter geworden, eine Dame in Armani mit einem Brillantring und einer teuren Uhr, und die Zeit der Abenteuer war wohl vorbei.
    Sie ging in den Speisewagen und bestellte sich einen Wein und etwas zu essen, und während sie auf das Essen wartete, kam die Durchsage: »Unser nächster Halt ist Ulm. Nächster Halt: Ulm Hauptbahnhof.«
    Ulm. War Heinrich nicht damals nach Ulm gezogen, vor siebenundzwanzig Jahren? Ob er immer noch dort lebte? Und plötzlich hatte sie, zum ersten Mal seit damals und vielleicht auch nur, weil Ulm jetzt fünf Minuten vor ihr lag, große Lust, Heinrich wiederzusehen. Einfach so. Sie hatte Zeit, Züge in Richtung Stuttgart fuhren dauernd, was war schon dabei. Franziska legte das Geld für ihre
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