Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Titel: Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen
Autoren: Elke Heidenreich
Vom Netzwerk:
Seele. Zum Beispiel Albert Mattes, Neukircher Straße, warum machte der ihr immer in einem offenen Bademantel auf? Gut, er trug noch eine Unterhose, aber sonst – nackt, offener Bademantel, barfuß, und dann sagte er immer so anzüglich: »Na?« wenn sie ihm die Post gab. Sie wollte eigentlich alles in den Briefkasten stecken, aber jedesmal hatte er sie schon kommen hören oder sehen, öffnete ihr und nahm Briefe und Karten persönlich in Empfang und gab ihr, wenn sie sich umdrehte, um zu gehen, einen kleinen Klaps auf den Hintern. Einmal hatte sie schon gedacht, was soll’s, dann nehm ich eben Albert Mattes für die erste Nacht, der will es ja anscheinend, aber er gefiel ihr einfach nicht gut genug, und er hatte Haare auf der Brust, was sie unbeschreiblich abstoßend fand. Sie wollte nicht mit ihrem Gesicht in diesem Gewölle liegen.
    Sie war verzweifelt über sich selbst. Wenn das so weiterging und sie so wählerisch blieb, würde sie noch mit fünfundzwanzig als Jungfrau herumlaufen – nein, bitte nicht daran denken. Warum war alles so kompliziert? Sie war sich ganz sicher, wenn einmal der Durchbruch – ja, schönes Wort für das, was da gemacht werden mußte –, der Durchbruch geschafft war, dann würde der Rest mit den Männern ganz einfach sein, dann hätte sie hier eine Affäre und da eine erotische Geschichte, vielleicht würde sie auch endlich die echte große Liebe erleben, wenn nur erst mal der Anfang gemacht und diese unselige Hürde genommen wäre! Und sie wollte, daß es eine gute erste Nacht würde, denn von all ihren Freundinnen wußte sie, daß das erste Mal ein Desaster war, daß es mit Heimlichkeiten, Schmerzen, Unerfahrenheit, Herumgenestel im Dunkeln und bitteren Enttäuschungstränen zu tun gehabt hatte, und daß ein zweites Mal große Überwindung gekostet hatte, nein, das wollte sie nicht. Es sollte hell sein, in einem großen Bett, und er sollte wissen, was er tat und es mit Lust tun, mit soviel Lust, daß sie für immer Spaß an dieser Art Beschäftigung haben würde. Dafür, dachte Franka, lohnte es sich, zu warten und zu lauern.
    Einmal war sie fast soweit. In ihrem Zustellbereich wohnte ein schön ergrauter, vielleicht vierzigjähriger Mann, der ein bißchen verlebt, aber immer noch imponierend aussah. Eines Morgens trat er dicht vor sie, er roch gut, und er gab ihr einen Zwanzigmarkschein.
    »Wie heißen Sie?« fragte er. »Franka«, sagte sie, und er zog anerkennend die Augenbrauen hoch.
    »Interessant«, sagte er. »Franka. Hören Sie, Franka, wenn ein Brief mit dieser Schrift in der Post ist –« und er zeigte ihr einen länglichen Umschlag mit einer schrägen, blauen Frauenschrift –, »dann bitte nicht in den Briefkasten. Niemals in den Briefkasten, Franka. Die Garage ist immer offen, legen Sie ihn bitte oben hinter die erste Farbdose links, da wird auch immer so ein Schein auf Sie warten. Franka, meine Liebe, haben wir uns richtig verstanden?«
    Sie hatten sich richtig verstanden, und Franka spürte: der wußte Bescheid, und sie wollte ihn haben, diesen Mann, gleich jetzt, in der Garage. Aber er zwinkerte ihr nur noch einmal zu und ging ins Haus zurück, wo sie seine Frau in der Küche abwaschen sah.
    Drei Tage später war so ein Brief gekommen. Franka öffnete ihn natürlich vorsichtig und las ihn. Eine Ulla aus Bremen schrieb, daß sie es kaum erwarten könne, ihn am Wochenende zu sehen, und sie werde ihn am Bahnhof abholen und keine Unterwäsche tragen, egal, wie kalt es sei, das solle er wissen. »Und dann«, schrieb sie, »kannst du es mir sofort machen, im nächsten Hauseingang, auf der Toilette im Café, im Fahrstuhl, und danach gehen wir unter die Leute, und dann werde ich dieses Gesicht haben, du weißt schon, mein Herrlicher.«
    Mein Herrlicher! Franka klebte den Brief mit zitternden Fingern wieder zu. Wie gern wollte sie auch endlich »dieses Gesicht« haben! Sie dachte jetzt Tag und Nacht nur noch an Sex, aber den schönen Mann sah sie nie mehr, fand nur regelmäßig seine Zwanzigmarkscheine hinter der Farbdose, wo sie die Briefe mit der blauen Frauenschrift deponierte. Einige Tage hatte sie auch keine Unterwäsche getragen und sich – es war immerhin schon Anfang Oktober – halbtot gefroren beim Postausfahren. Trotzdem war es ein frivoles Gefühl gewesen, unter Jeans und Pullover nackt zu sein. Sie träumte von John F. Kennedy, der damals bewunderter Präsident von Amerika war und ihr als Mann gut gefiel, und obwohl John Steinbeck in jenem Jahr den Nobelpreis
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher