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Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Titel: Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen
Autoren: Elke Heidenreich
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Ist das okay so? Ich finde es total okay.«
    Ich fand es auch in Ordnung. Warum nicht. An der Wurstschneidemaschine war nichts auszusetzen. Aber immer, wenn wir damit Schinken, Mortadella oder Salami schnitten, gab es einen leisen Schmerz in meiner Brust, als wäre es mein eigenes Herz, das da von dieser Wurstmaschine in hauchdünne Scheiben geschnitten würde.
    Als ich Otto kurz danach verließ, nahm ich die Wurstschneidemaschine nicht mit. Er war sehr froh darüber, daß wenigstens sie bei ihm blieb.

Der Welt den Rücken
    Als Franziska Steinmetz im Frühjahr 1962 nach dem Abitur ihr Elternhaus verließ, um in München zu studieren, war sie neunzehn Jahre alt und immer noch Jungfrau. Das war damals nicht gerade etwas Besonderes, die Zeiten waren prüder. In Deutschland regierte immer noch Adenauer, 1968 war noch weit, und die Mütter hatten sich in der Regel bis zur Hochzeitsnacht aufbewahrt und ihre Töchter auch in diesem Sinn erzogen. Von jungen Männern erwartete man, daß sie sexuelle Erfahrungen sammelten, daß sie sich austobten, aber junge Mädchen, hieß es, mußten sich aufheben. Franziska dachte nicht daran, sich bis zur Hochzeit aufzuheben, sie wollte auch Erfahrungen machen, und sie fühlte sich überreif, sie wollte wissen, was das ist: ein Mann, sie wollte diese berühmte erste Nacht, der alle soviel Bedeutung beimaßen, endlich hinter sich bringen. Aber es sollte ein Könner sein, keiner von diesen blassen Schülern, die sie zum Tanzen abholten und dabei über die eigenen Füße stolperten. Mit einem von ihnen, einem sehr liebenswerten, schlaksigen Offizierssohn, war sie fast zwei Jahre zusammen, und sie standen im Grunde kurz davor, ihre für beide erste Liebesnacht miteinander zu verbringen. Dann hatte er ihr in einem vierzehn Seiten langen Brief geschrieben, daß er sich nicht traue, daß er Angst habe, etwas falsch zu machen, daß er seine erste Nacht lieber mit einer erfahrenen Frau verbringen wolle. Die Männer nahmen sich so etwas einfach heraus – nun gut, das konnte, das wollte sie auch: kein Jüngling mit schweißnassen Angsthänden, kein Dilettantismus mehr auf dem Gebiet der Liebe. Franziska hatte beschlossen, sich ihren ersten Mann selbst auszusuchen und es nicht dem Zufall oder einer törichten Verliebtheit zu überlassen, wer sie auf diesem wichtigen Weg vom Mädchen zur Frau sachkundig leiten sollte.
    Es war nicht so, als ob Franziska gar keine Erfahrung gehabt hätte. Es hatte auf Partys, Schulfesten, beim Schlußball und nach dem Filmclub in dunklen Ecken genug erotische Übungen gegeben. Feuchtwarme Hände waren auf ihrem Busen gelandet, zwischen Rockbund und Strumpfhose nach unten gerutscht und hatten vor zusammengekniffenen Beinen sofort kapituliert. Ihr letzter Freund war ein verheirateter Musiklehrer gewesen, mit dem sie, während ihre Eltern in einem Cellokonzert waren, unter der Patchworkdecke auf dem schmalen Bett in ihrem Mädchenzimmer stöhnte, sich wälzte, sich sogar halb auszog und zuließ, daß er »ich liebe dich« zwischen ihre nackten Brüste hauchte. Aus dem Kofferplattenspieler mit aufgeklapptem Deckel krächzten französische Chansons, »Bleu, bleu le ciel de Provence«, und Jacques Brel sang knirschend von der Liebe, an die er doch nicht glaubte, weil er alle Frauen für treulos, grausam und oberflächlich hielt. Der Musiklehrer hatte klagend von seiner Frau geredet, die ihn seit der Schwangerschaft nicht mehr hinließe. Irgendwie hatte Franziska das Gefühl gehabt, daß er nicht der Richtige war für das, was sie wollte. Zwar hatte er durchaus Erfahrung, aber seine Berührungen empfand sie als hektisch und ungeschickt, er machte sie ungeduldig und kam ihr eher wie ein überhitzter Dampfkochtopf vor, der gleich platzen würde, als wie ein gelassener Liebhaber. So ähnlich war es dann ja auch gekommen. Der Musiklehrer explodierte sozusagen, entschuldigte sich, zog sich an und schlich tief beschämt davon, und kurz darauf waren ihre Eltern zurückgekehrt und sie hatte sich schlafend gestellt und gedacht: verdammt noch mal.
    Dann kam das Abitur mit all seinen Prüfungen, Aufregungen und Feiern, und danach war sie endlich in München und studierte. Sie nannte sich jetzt Franka.
    Das erste Semester mit Romanistik und Volkskunde ging vorbei, und es war immer noch nichts passiert. Sie hatte auf einigen flusenden Flokatiteppichen in Studentenbuden gelegen, hatte Männer durchaus an sich herangelassen, aber was waren das für Männer! Entweder Studenten, die zwar
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