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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu
Autoren: Wilfried Steiner
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Korrespondenz Passagen voller Begeisterung für
seine Begabungen als Dichter und charmanter Dauerredner. Trotzdem fesselte mich
jene erste Beobachtung am meisten; ich las sie auch als eine Art Absage an
Coleridge als Mann. Nur seine große Seele konnte Dorothy sein für sie nicht
gerade anziehendes Äußeres vergessen lassen.
    Bei ihm sah das anders aus.
»Sie ist wahrlich eine Frau!« schrieb er, um sich selbst sofort ins Wort zu
fallen, »ich meine, was ihren Geist und ihr Herz betrifft« — aber die Pferde
gehen mit ihm durch, und was folgt, ist gleich ein hymnischer Dreizeiler:
    In every motion her most innocent soul
    Outbeams so brightly, that who saw would say,
    Guilt was a thing
impossible to her.
     
    In
jeder Bewegung strahlt ihre unschuldigste Seele
    So
hell, daß, wer sie sieht, sagen würde,
    Schuld sei ein Ding der
Unmöglichkeit für sie.
     
    Gut geschwärmt, würde ich
sagen. Aber man mag einräumen, daß nicht hinter jeder Schwärmerei gleich ein
verborgenes Körperfeuer lodern muß.
    Jedenfalls waren sie bald
unzertrennlich, die beiden Naturanbeter und die strahlende Schwester, einen
Sommer, einen Winter und noch einen Sommer lang.

Zwölf Wir trafen uns diesmal nicht in meinem Büro, sondern im Café Ritter in der
Mariahilfer Straße, meinem Stammcafé. Es war ein erster Schritt in etwas
privatere Gefilde; noch nicht meine Wohnung, aber schon auf dem Weg dorthin.
    Martin, wie Jüngelchen hieß,
erschien um zehn Minuten zu spät, aber seinem Verhalten nach konnte man denken,
er hätte mich um mindestens eine Stunde versetzt. Er stürmte das Café, rannte
zwischen den Tischreihen durch, bis er mich fand, wischte sich Schweißperlen
von der Stirn, war außer Atem. Als er sich gefangen hatte, überschüttete er
mich mit Entschuldigungsformeln und langatmigen Erklärungen, denen man
entnehmen mußte, daß das Wiener U-Bahn-Netz kurz vor dem endgültigen
Zusammenbruch stand. Ich beruhigte ihn, ebenfalls mit Formeln, kein Problem,
ich sei selbst gerade erst gekommen, und außerdem sei Pünktlichkeit die Tugend
der Phantasielosen. Das glättete die Falten der Zerknirschung in seinem
Gesicht, und ich mußte mir zu meinem nicht geringen Unbehagen eingestehen, daß
er im landläufigen Sinn hübsch war. Auffällig große graue Augen saßen wie zwei
Monde über dem Grat seiner Nase, die Lippen waren von einem unnatürlichen —
unmännlichen, mußte ich für mich sofort hinzufügen — Rot, als hätte er einen
dezenten Lippenstift aufgetragen oder gerade Himbeereis gegessen. Aber
vermutlich war dieses Rot nur das Zeichen einer überdurchschnittlich starken
Durchblutung aufgrund der Hyperaktivität seiner Lippen. Wenn er einmal nicht
sprach, nippte er an seinem Glas, saugte an einer Zigarette oder an seinem
Kugelschreiber. Würde man ihn mit durchschnittlicher Belichtungszeit
fotografieren, so wäre sein Mund wohl immer verschwommen im Bild, ein rotes
Wölkchen über dem scharf geschnittenen Kinn. Das Auffälligste an ihm aber waren
seine fuchsroten Haare, die Momentaufnahme eines Vulkanausbruchs, nach oben
geschleuderte Flammenzungen. Er muß Haarspray verwenden, der Geck, dachte ich,
damit sie so stehen bleiben.
    An diesem Nachmittag konnte ich
es mir nicht verkneifen, nach einer Marillenschnitte noch Topfenpalatschinken
zu bestellen, eine wüste, ungesunde Widersinnigkeit, ein infantiler Protest
gegen den schlanken Körper, der mir gegenübersaß.
    Martin versuchte, an unser
letztes Gespräch anzuschließen, was für mich anfangs mit erheblichen
Schwierigkeiten verbunden war, mußte ich doch die Tatsache überspielen, daß ich
ihm in meinem Büro nicht zugehört hatte. Doch im Feuereifer des Erzählens
neigte mein frischgebackener Schützling zu einer gewissen Redundanz, die es mir
ermöglichte, die verlorenen Teile des Puzzles zu rekonstruieren. Es gefiel mir
gar nicht schlecht, was er sich da in seinem Kopf so zusammengebastelt hatte.
Hatte ich eher erwartet, mit einem der von der Coleridge-Forschung bis zum
Erbrechen durchgekauten Themen konfrontiert zu werden, so überraschte mich
Martin, wenn auch nicht mit einem neuen, so doch mit einem weniger
abgegriffenen Ansatz. Nicht die notorisch gescheiterten Beziehungen oder der
oft so rührselig nachgezeichnete Leidensweg in die Opiumsucht interessierten
ihn, sondern das Verhältnis zu William Wordsworth, die Auswirkungen dieser so
sehr von den Polen Anziehung und Abstoßung geprägten Freundschaft auf die
schöpferische Kraft seines Helden.
    Daß er sein
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