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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu
Autoren: Wilfried Steiner
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Anliegen mit dieser
gleichermaßen naiven wie anmaßenden Vertraulichkeit den Dichtern gegenüber
vortrug, die er schon in meinem Büro an den Tag gelegt hatte, minderte
allerdings mein Wohlwollen.
    »Willy war ein Schuft«, sagte
Martin, als spräche er über ein schwarzes Schaf in seiner eigenen Familie, »er
hat ihn zuerst aufgebaut und dann abmontiert.« Es war ihm nicht egal, es regte
ihn auf, und in mir, der ich mich etwas despektierlich über Wordsworth geäußert
haben mußte, obwohl ich mich nicht erinnern konnte, glaubte er den idealen
Kombattanten für seinen Aufklärungsfeldzug gefunden zu haben. »Schon gut«,
sagte ich, »ich kann nachvollziehen, was Sie meinen.« Ich ließ ihn ein wenig
zappeln, nahm einen Bissen von der Palatschinke, die mir zu allem Überfluß
überhaupt nicht schmeckte, kaute daran herum und spülte das Zeug mit einem
Schluck Kaffee hinunter. »Aber wenn Sie bei mir schreiben wollen, müssen Sie
sich eine etwas differenziertere Sicht der Dinge angewöhnen. Und hören Sie
bitte auf, die Namen der Herren so zu verunglimpfen. Man könnte ja glauben, Sie
sprechen von Dackeln.«
    Das bremste ihn doch ein wenig.
Die Aktivitäten seiner Lippen verlagerten sich mehr aufs Kauen und Saugen. Er
hatte sich, vielleicht als augenzwinkernde Anspielung auf unsere erste
Begegnung, eine Cremeschnitte bestellt, die er jetzt in sich hineinstopfte, um
das Loch, das ich gerade in ihn gerissen hatte, zu füllen. Dazwischen pumpte er
mittels eines Strohhalms beachtliche Mengen Cola in sich hinein.
    »Aber abgesehen davon«, sagte
ich schließlich, als ich den Eindruck gewann, die Spannung zur Genüge
ausgereizt zu haben, »haben Sie meine Neugier geweckt. Ich werde mir Zeit
nehmen für Sie.«
    Er verschluckte sich, hustete,
schaute mich an. Sein Mund war halb offen, ein Glänzen lag in seinen Mondaugen.
Weihnachten, Ostern, Geburtstag. Fast war ich gerührt. Ich rief den Ober,
zahlte für uns beide, ließ mir eine Rechnung geben, um dem Akt der Einladung
eine offizielle Note zu verleihen.
    Ab jetzt war Martin mein
Doktorand. Eine Feuerwanze, die in meinem Netz zappelte. »Am besten, Sie kommen
am Wochenende zu mir zum Essen. Da können wir unseren Pakt begießen. Paßt Ihnen
Samstag, acht Uhr?«
    Natürlich paßte es. Vier Uhr
dreißig früh auf dem Zentralfriedhof hätte wohl auch gepaßt. Ich nahm eine
Visitenkarte aus meiner Brieftasche und reichte sie ihm über den Tisch. »Und
bringen Sie ruhig Ihre Freundin mit.« Ich sagte das so beiläufig wie nur irgend
möglich.
    Erst als wir aufstanden, fiel
mir auf, daß er um gute zehn Zentimeter größer war als ich.

Dreizehn Wer sich dieser Runde romantischer Mondanbeter niemals anschloß, war Sarah.
Schnell war die Rolle, während der Spaziergänge das Kind zu hüten, ihr
zugeteilt worden. Mit der neuen Frau im Leben ihres Gatten verband sie auch
nicht gerade die innigste Freundschaft. Dorothys Art, manchmal in egomanischer
Spontaneität die Bedürfnisse anderer auszublenden, war für Sarah schwer zu
ertragen.
    Als die Wanderer eines Abends
von einem Regenspaziergang zurückkehrten, stürmte Dorothy in Sarahs Zimmer,
warf ihre nassen Kleidungsstücke auf den Boden und versorgte sich mit trockenen
Sachen aus Sarahs Schrank. Daß es vielleicht angebracht gewesen wäre, die
Gastgeberin zuvor um ihr Einverständnis zu bitten, kam ihr erst gar nicht in
den Sinn.
    Zu den Abendessen im Landhaus
der Geschwister erschien Sarah immer seltener. Ihre Verbitterung wuchs; als
Coleridge ihr im Sommer 98 mitteilte, daß er den Herbst in Deutschland
verbringen wolle, und zwar mit William und Dorothy, ohne seine Frau und seinen
Sohn, wußte sie, daß ihre Ehe nicht mehr zu retten war.
    Aber bis dahin dauerte es noch
ein ganzes Jahr.
    Im Juli und August 97 unternahm
das Trio ausführliche Streifzüge durch die Heidelandschaft. Coleridge
berichtete seinem Verleger Cottle von inspirierenden Gesprächen, von
Augenblicken inniger Gemeinsamkeit — und von der Langsamkeit seines
literarischen Vorankommens. Die Texte, die jetzt entstanden, waren gut
gemachte, aber etwas biedere Arbeiten, wie die Tragödie Osorio, deren
Fertigstellung ihm, wie er an seinen Freund Bowles schrieb, »endlose
Schwierigkeiten und tiefe Depressionen« verursachte.
     
    Erst im Oktober bricht der
Bann. Der Traum von Xanadu flammt auf, entfacht vom Opium. Kain, der
Brudermörder, wandert durch gespenstische Wüsten, von Coleridge beschrieben in
bestechender Prosa. Schon im November entstehen die ersten
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