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Der Weg ins Dunkel

Der Weg ins Dunkel

Titel: Der Weg ins Dunkel
Autoren: Patrick Woodhead
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Sekunden, bis er begriff, was das für ihn ganz persönlich bedeutete. Dann packte er sich an den Hals, beugte sich so weit vor, dass er beinahe hinfiel, und griff sich an die Brust. Alle sahen ihn irritiert an und wichen zurück. Er schien verrückt geworden zu sein, warf sich von einer Seite auf die andere und riss sich das Hemd mit beiden Händen auf. Als er das Lederband zu fassen bekam, das er um den Hals trug, fuhr er mit den Fingern darunter, zerriss es und schleuderte es weit von sich. Es rutschte über die Bodenfliesen der Veranda und blieb in fünf Metern Entfernung liegen. Jian starrte ihm nach, immer noch vornübergebeugt.
    Unter dem offenen Hemd sah Joshua die schwarze Schwellung, die sich über Hals und Schulter des Chinesen zog. An den Minenarbeitern hatte er schon viele solcher Schwellungen gesehen und sie zu behandeln versucht. Er wusste, dass der Krebs schnell fortschritt, wenn erst einmal dieses Stadium erreicht war. Innerhalb weniger Tage würde die Schwellung eine Seite des Gesichts überwuchern, und alle zwei, drei Tage würde sich ihre Ausdehnung verdoppeln. Schließlich würde der Tumor aufs Gehirn drücken und es an die Schädeldecke pressen. Der Schmerz würde unerträglich sein, und es würde nicht lange dauern, bis der Betroffene starb.
    Langsam richtete Jian sich wieder auf und machte sein Hemd zu.
    Joshua betrachtete ihn mitleidsvoll. Insgeheim gab er ihm bestenfalls noch vierzehn Tage. «Hatten Sie in letzter Zeit starke Kopfschmerzen?», fragte er.
    Jian nickte. Er wirkte nicht mehr aggressiv, sondern bot ein Bild des Jammers. «Was hat das zu bedeuten?», fragte er. «Was passiert mit mir?»
    Joshua ging auf ihn zu. «Sie brauchen ärztliche Hilfe, und zwar schnell. Trotzdem muss Ihnen klar sein, dass die Krankheit bereits weit fortgeschritten ist. Der Tumor ist schon von außen zu sehen, und das bedeutet …» Er zögerte, bevor er es aussprach. «Es bedeutet, dass Ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt.»
    Jian fuhr sich mit der Hand an den Hals und kratzte sich an der schuppigen Stelle. Sie war schon bis auf den darunterliegenden Knoten abgeschabt, und jetzt begann sie zu bluten, sodass sich seine Fingerspitzen rot färbten. Er schüttelte den Kopf, blickte um sich und begann zu hyperventilieren. Dann stolperte er in den Hausflur und murmelte: «Ich muss hier raus! Bloß raus hier!»
    Doch bevor er verschwand, gab Kai seinen Männern ein Zeichen, und sie versperrten Jian den Weg.
    «Was soll das?», fragte Jian, und seine Stimme überschlug sich vor Panik. «Lassen Sie mich raus! Ich brauche Hilfe.»
    «Da sehen Sie, was Sie uns eingebrockt haben», sagte Kai auf Mandarin. «Ihre Behandlung kann warten. Wir haben genug andere Probleme.» Dann wandte er sich an die Soldaten: «Bringen Sie ihn auf sein Zimmer und sorgen Sie dafür, dass er dort bleibt.»
    «Nein! Das können Sie mir nicht antun», schrie Jian, wandte sich von den Bodyguards ab und sah Kai flehend an. «Bitte! Ich muss hier raus! Sie haben doch gehört, was der Mann gesagt hat. Mir bleibt nicht viel Zeit.»
    Kai ließ sich Zeit, bevor er seinen Männern zunickte. Vier von ihnen packten Jian an den Armen.
    «Mit Ihnen beschäftige ich mich später», sagte Kai zu Jian.
    «Wir können einen Deal machen», schrie Jian, als die Bodyguards ihn in den Flur schleppten. «Aber bringen Sie mich erst zu einem Arzt!»
    Langsam verebbte Jians Protestgeschrei in der Ferne, und Kai sah der Reihe nach Luca, Bear und Joshua an.
    «Sie müssen den Mann ins Krankenhaus bringen», sagte Joshua. «Ich habe diese Symptome schon oft genug gesehen, um zu wissen, dass er nicht mehr viel Zeit hat.»
    Kai machte eine wegwerfende Handbewegung. «Wir kümmern uns schon um unsere Leute», sagte er in fast akzentfreiem Englisch. «Die karzinogene Wirkung, sagen Sie, entsteht nur im Zusammenhang mit Hitze? Wie viel Hitze?»
    Joshua zuckte mit den Schultern. «Das wissen wir nicht genau, aber man kann sagen: je größer die Hitze, desto größer die Gefahr. Sie haben ja gerade selbst gesehen, dass selbst eine sehr kleine Menge des reinen Minerals tödliche Wirkung entfaltet, wenn es auf Körpertemperatur erwärmt wird.»
    Bear trat vor und fragte Kai: «Sie verarbeiten dieses Zeug in elektronischen Geräten, nicht wahr? In welchen? Geht es um Telefone und Computer?»
    Kai nickte. Warum sollte er es auch verschweigen?
    «Alle Geräte dieser Art werden heiß», sagte Bear. «Oft sehr heiß. Laptops haben sogar eingebaute Kühlsysteme, weil sie sonst
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