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Der Wandler

Der Wandler

Titel: Der Wandler
Autoren: Dominik Spreigl
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marschierte sie direkt auf das Dickicht zu und verschwand in einer Lücke zwischen dem dichtem Bewuchs. Ich warf einen letzten Blick zurück. Dann setzte ich mich in Bewegung um Miss Harper nicht aus den Augen zu verlieren.
    Wie einen riesigen Leuchtkäfer sah ich die Laterne vor mir. Deren Flamme tanzte unruhig umher. Der Wald, bei Tageslicht so friedlich und schön, zeigte bei Nacht ein gänzlich anderes Gesicht.
    Er wirkte unheimlich und bedrohlich. Dinge, die tagsüber harmlos erschienen, warfen im Schein der Laterne grauenhafte Schatten. Kreaturen der Nacht mit langen, dürren Armen schienen nach mir zu greifen. Auch Brutus fühlte sich unwohl. Beim Gehen drückte er sich fest gegen mein Bein. Schnell schlossen wir zu unserer Begleitung auf. Das Licht der Laterne gab mir ein Gefühl von Geborgenheit.
    Verstohlen blickte ich in Miss Harpers Gesicht. Es zeigte keinerlei Anzeichen von Sorge oder Angst. Später würde sie den Weg sogar alleine zurückgehen. Allein beim Gedanken lief es mir schon eiskalt den Rücken hinunter.
    Unser Rückweg zog sich eine Ewigkeit hin. Während der ganzen Zeit sprachen wir kein Wort.
    Miss Harper passte gut zum Doktor. Sie war auch irgendwie komisch, aber um den Dr. auszuhalten, musste man wahrscheinlich einen an der Klatsche haben.
    Unvermittelt endete die Wand aus Gestrüpp, Bäumen und Sträuchern. Ich war wieder in der Zivilisation. Erleichtert blickte ich mich nach Miss Harper um. Sie war bereits wieder umgekehrt und im Wald verschwunden. Die Dunkelheit schluckte sie wie ein gefräßiges Raubtier.

    Durch Seitenstraßen und versteckte Abkürzungen schlichen wir in Richtung unserer Unterkunft. Wir huschten von Schatten zu Schatten. Ich lauschte auf jedes kleinste Geräusch und behielt die Dächer der umliegenden Häuser im Auge.
    Doch wir schienen Glück zu haben, nirgends war ein Wächter zu entdecken. Ich wollte um jeden Preis vermeiden, erwischt zu werden. Kindern war es nicht gestattet, sich nach Einbruch der Dunkelheit noch im Freien aufzuhalten. Und die Strafen für Zuwiderhandlungen waren hart. Glücklicherweise begegneten wir Niemandem und gelangten ohne Zwischenfall zurück ins Haus.

Sara

Meine beste Freundin und so etwas wie eine Mutter für mich, war Tante Sara.
    Tante Sara war eine von ihnen.
    Sie arbeitete im Forschungszentrum und im Gegensatz zu den meisten Wächtern gab sie sich auch mit uns Kindern ab. Sie war fast, aber auch nur fast wie ein normaler Mensch.
    Ego meinte einmal, sie gehöre zur gemäßigten Gruppe innerhalb des Kollektivs. Diese strebten keine Herrschaft über die Menschen an, sondern ein friedliches Zusammenleben.
    Sara besuchte mich häufig. Man konnte mit ihr reden, sie verstand meine Probleme und hörte mir zu.
    Auch Brutus mag sie und lässt sich Ewigkeiten lang von ihr streicheln, was sonst bei Fremden gar nicht seine Art war. Sie war wahrscheinlich menschlicher als die meisten Menschen in Neo NY.
    An manchen Tagen sind wir zu dritt auch einfach nur über die grasbewachsenen Straßen gewandert, ohne etwas zu reden und haben uns am Wetter erfreut.
    Schon jetzt konnte ich ihren nächsten Besuch kaum mehr erwarten.

    In der Küche füllte ich den Inhalt einer mitgebrachten Dose in den Futternapf. Brutus sabberte neben mir einen kleinen See. Ich reichte ihm den Napf, nachdem ich prüfend am Futter gerochen hatte.
    Lecker. Und wahrscheinlich besser als der meiste Fraß, den ich vorgesetzt bekam. Brutus verschlang vor lauter Hunger fast die Schale samt Futter.
    Auf der Terrasse ließ ich mich wie ein nasser Mehlsack in den Schaukelstuhl plumpsen.
    Was für ein Scheißtag. Konnte es überhaupt noch schlimmer kommen? Oh Mann, ich hatte mir ein bisschen Ruhe echt verdient.
    Ich würde hier nicht weggehen, ehe ich nicht den letzten warmen Sonnenstrahl ausgenutzt hatte.
    Müde lehnte ich mich zurück und genoss das wunderbare Wetter.

    Vor meinen Augen breitete sich das Camp aus. Mehrere Wolkenkratzer, ein Park und dutzende kleine Stadthäuser.
    Umschlossen wurde ganz Neo NY von einer riesigen, Stacheldraht bewehrten Mauer.
    Bewaffnete Wächter kontrollierten das ganze Gebiet. Nachts herrschte eine strikte Ausgangssperre. Auch wurde das ganze Camp ab Einbruch der Dunkelheit taghell erleuchtet, um mögliche Eindringlinge schnell ausfindig zu machen.
    Kampfhubschrauber kreisten über uns und Drohnen flogen ununterbrochen in die Nacht hinaus.
    Manchmal stellte sich mir die Frage, ob die Wächter Eindringlinge abhalten oder ob sie eine Flucht von uns
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