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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg
Autoren: Serno Wolf
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die Mutter nicht mehr pressen muss.«
    »Es gibt eine andere Möglichkeit«, nahm Miss Bloomsdale den Gedanken auf, »man nennt sie Bauchschnittmethode, dabei wird der Leib geöffnet und das Kind herausgehoben.«
    »Vielleicht ist das die beste Lösung. Wie wird der Schnitt angesetzt - längs oder quer?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Hm«, der Wundarzt überlegte laut, »egal, ob längs oder quer, er müsste wohl sechs bis acht Zoll lang sein.«
    Er betrachtete den dick geschwollenen Leib und dann seine chirurgischen Instrumente. Die vor ihm liegende Aufgabe verlangte viel Feingefühl, sie war ganz anders als die Tätigkeiten, die er üblicherweise auszuführen hatte. Sein Blick fiel auf eine Reihe kleinerer Skalpelle. Er überlegte und entschied sich für eines, das einen langen, gebogenen Griff aufwies und dadurch besonders gut in der Hand lag. Der Stahl selbst war nur so kurz wie das Glied eines Fingers. Sollte er während des Schnitts abrutschen, würde die Klinge nicht allzu tief eindringen. Er nahm das Skalpell und kniete sich abermals breitbeinig vor die junge Frau. Es war nichts Neues für ihn, in den Leib eines Menschen zu schneiden, denn er hatte schon viele Stichwunden im Bauchraum versorgt. Er wusste, dass er zunächst die Hautschichten durchtrennen müsste, wobei darauf zu achten war, dass die Blutung ihn nicht zu sehr behinderte. Miss Bloomsdale würde die Wunde mit zwei Haken auseinander halten und das Blut mit einem Schwamm wegtupfen. So weit, so gut. Dann würde er auf das Bauchfell stoßen und darunter...
    Er zögerte. Was erwartete ihn darunter? Das Kind? Nun, er würde es sehen. Er hob die Hand zum Schnitt - und ließ sie wieder sinken. Er spürte einen heftigen Widerstand in sich. Eine Bauchoperation
    war
    grundsätzlich hochinfektiös, er hatte selten gesehen, dass ein Mann sie überlebte. Hier aber handelte es sich um eine Frau, wobei erschwerend hinzukam, dass sie äußerst geschwächt war und ihr Puls sehr unregelmäßig schlug. Whitbread zögerte noch immer. Er fragte sich, ob er nicht verpflichtet sei, wenigstens das Kind zu retten. Da plötzlich kam ihm eine Idee.
    Er selbst hatte von einer Vergrößerung der Vaginaöffnung gesprochen. Dabei hatte er allerdings an einen die Vagina verlängernden Schnitt nach oben, in Richtung Bauch, gedacht, was natürlich völlig unmöglich war. Das verbot die Anatomie des Weibes. Auf das Naheliegendste war er nicht gekommen: auf den Schnitt, der am unteren Ende der Vagina ansetzte und in Richtung Damm führte!
    »Miss Bloomsdale, ich bin zu einem Entschluss gekommen«, sagte er, sich umwendend, zu der Hebamme:
    »Ich werde nicht die Bauchschnittmethode anwenden, sondern versuchen, den eigentlichen Geburtskanal operativ zu vergrößern.«
    »Und wie wollt Ihr das anstellen?«
    Whitbread erklärte es ihr. Die schwere Frau war sofort einverstanden. Es schien so, als hätte sie vorübergehend das Kriegsbeil begraben.
    Er beugte sich vor, setzte die Spitze des Skalpells an und schnitt so vorsichtig ins Fleisch, dass es einem Ritzen gleichkam. Doch durch die Spannung sprangen die Schnittränder sofort auseinander. Miss Bloomsdale tupfte ein wenig Blut fort.
    Er wollte erneut das Skalpell ansetzen, doch durch die Schwangere lief plötzlich ein Zittern, und sie bäumte sich auf.
    »Was ist los?«, fragte Whitbread entsetzt.
    »Eine Wehe steht bevor, vielleicht können wir sie nutzen.«
    »Hoffen wir's.« Rasch und konzentriert schnitt Whitbread zum zweiten Mal ein. Plötzlich sprang der Damm auseinander, der Geburtsweg vergrößerte sich, Blut schoss ihm entgegen. Geistesgegenwärtig griff er mit der ganzen Hand in die Öffnung, tastete, fühlte und bekam den Kopf zwischen seine Finger. Er dirigierte ihn vor die Öffnung, während Miss Bloomsdale leicht und rhythmisch auf den Bauch der Schwangeren drückte.
    Der Kopf trat ein Stück hervor. »Ich glaube, es kommt!«, schrie Whitbread.
    »Ja, jetzt lasst mich den Rest erledigen.« Mit wenigen geschickten Handgriffen holte die Hebamme das Kind heraus und hielt es an den Beinchen hoch. Dann gab sie ihm einen Klaps auf das winzige Hinterteil. Augenblicklich fing es an zu schreien.
    »Ein schönes Kind«, sagte Whitbread. Und es waren seine letzten Worte. Denn in dieser Sekunde brach der Hauptmast und schlug krachend auf das Achterkastell nieder. Er durchbrach die Decksbalken wie eine riesige Axt, traf auf den Kopf des Wundarztes und zerschmetterte ihm den Schädel.

    Taggart befand sich auf seinem
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