Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg
Autoren: Serno Wolf
Vom Netzwerk:
Ihn der Lady einzuflößen, sollte seine erste medizinische Maßnahme sein. Er wandte sich an den Lord und die Hebamme, die an einem Wandregal Halt gesucht hatten. »Bitte stützt die Lady von beiden Seiten ab, ich will versuchen, sie auf der Koje festzuschnallen.«
    »Wir werden unser Bestes tun«, versprach der Lord. Beide traten heran, und die Hebamme zog als Erstes das Kleid der jungen Frau herunter.
    Whitbread zeigte ihnen, wie sie Oberarm und Schenkel halten sollten. Dann wandte er sich der gegenüberliegenden Wand zu, an der einige Waffen befestigt waren, darunter eine Harpune mit einem langen Seil. Er löste das Seil mit einiger Mühe vom Stiel und reichte es seinen beiden ungewöhnlichen Assistenten.
    »Bitte schlingt das Seil in Achselhöhe um ihren Körper, am besten unter den Armen hindurch.« Sie taten, wie er es gewünscht hatte. Er nahm beide Enden und verknotete sie an der Wand hinter der Koje, wo einige Krampen im Schiffsleib steckten. Offenbar dienten auch sie als Waffenhalterungen.
    »Wozu soll das Ganze eigentlich gut sein?«, fragte Miss Bloomsdale misstrauisch.
    »Das will ich Euch gerne sagen«, entgegnete Whitbread. »Das Wichtigste vor einer Operation ist das Fixieren des Körpers. Ihr seht selbst, dass der Oberkörper der Lady jetzt fest mit der Bordwand verschnürt ist. Das Becken hat sich dadurch wie von selbst nach vorn geschoben, und die Lady sitzt sicher auf der Kojenkante.«
    »Ein Gebärstuhl wäre sehr viel nützlicher, das habe ich Seiner Lordschaft auch schon gesagt und ...«
    »Haben wir einen Gebärstuhl?«
    »Natürlich nicht, sonst hätte ich ...«
    »Da seht Ihr, wozu das Ganze gut ist!« Whitbread fühlte sich immer besser. Da bei diesem Seegang ein wohl dosiertes Einflößen des Branntweins aussichtslos war, hielt er der Lady kurzerhand die Nase zu, was sie dazu zwang, ihre Lippen zu öffnen. Er kippte die Flasche über ihrem Mund aus, und die Flüssigkeit gluckerte hinein. Dies wiederholte er drei-, viermal. Plötzlich begann die Lady zu husten, sie zuckte und schüttelte sich. Ihr Gesicht bekam etwas Farbe. Sie blickte ihn kurz an und schloss erneut die Augen. Eine gehörige Alkoholisierung, dachte Whitbread, konnte ihr bei der Sache, die da auf sie zukam, nur gut tun. Er setzte die Branntweinflasche an die eigenen Lippen und nahm selbst einen kräftigen Schluck. Dann betrachtete er seine Hände, spreizte die Finger und sah mit Befriedigung, dass sie nicht zitterten.

    »Ich habe alles, Sir!«, rief John stolz, als er bald darauf in Begleitung eines kräftigen Matrosen auftauchte. Gemeinsam schleppten sie eine größere Kiste herbei, in der die gewünschten Dinge verstaut waren.
    »Gut, mein Junge, häng als Erstes die Laternen auf, dann leg die Tücher bereit. Was ist in der bauchigen Flasche da?«
    »Das heiße Wasser, Sir!«
    »Sehr gut, lass es erst mal drin, wir geben es später in die Schüssel. Hast du auch die Gans?«
    »Ja, Sir, ich konnte sie gerade noch vor den langen Fingern der Mannschaft retten.«
    »Fein. Dann werde ich mich ihr jetzt widmen.«
    »Unerhört!« Miss Bloomsdale stemmte die Arme in die Hüften. »Wie könnt Ihr in dieser Minute ans Essen denken!«
    »Verehrte Miss Bloomsdale«, freute sich Whitbread, denn die Dicke reagierte genauso, wie er es vorausgeahnt hatte, »Ihr irrt, mir geht es keineswegs ums Essen. Aaah ... sehr gut, John!« Der Schiffsjunge hatte inzwischen die Sturmlaternen an die Decksbalken gehängt. Die Lampen schwangen zwar klappernd hin und her, aber die Helligkeit, die sie abgaben, war ausreichend.
    Whitbread bedeutete John, den knusprigen Vogel zu halten, während er nach einem kleinen Skalpell aus seinem Koffer griff. Zwei Zoll vom Bürzel entfernt vollzog er damit einen ringförmigen Schnitt. Dann umschloss er mit beiden Händen die gesamte Brustseite der Gans, drückte fest zu und schob die Finger kraftvoll in Richtung Bürzel. Aus dem ringförmigen Einschnitt quoll weißliches Gänsefett hervor wie aus einer Ölpresse. Whitbread strich es ab und sammelte es in einem kleinen Porzellangefäß.
    »Was hat das nun wieder zu bedeuten?«, verlangte Miss Bloomsdale zu wissen.
    »Das werdet Ihr gleich sehen«, versetzte Whitbread, der sich nochmals an John wandte: »Ich brauche dich nicht mehr. Nimm deinen Kameraden, und melde dich beim wachhabenden Offizier.«
    »Aye, aye, Sir!«
    »Mister Whitbread, wenn Ihr nichts dagegen habt, würde auch ich mich gern entfernen«, ergriff der Lord die Gelegenheit beim Schopf, »ich müsste
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher