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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg
Autoren: Serno Wolf
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wurde, um eine Geburt einzuleiten, aber der Herrgott im Himmel hat anders entschieden.«
    Sie blickte Whitbread streng an, wobei ihre Warze im fahlen Licht schimmerte. »Dennoch kann ich Euch Eure Arbeit nicht verbieten. Wenn Ihr also eine Idee habt oder einen Handgriff ausführen wollt, so werde ich Euer Werkzeug sein!«
    »Tja, hm.« Whitbread wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Ich sehe, dass Ihr mit Eurem Latein am Ende seid, noch bevor Ihr mit der Behandlung begonnen habt.«
    Miss Bloomsdale konnte eine gewisse Genugtuung kaum verbergen: »Macht Euch nichts draus. Bei einer Geburt sind wir Hebammen ohnehin die besseren Ärzte.«
    »Mag sein.« Whitbreads Kopf wurde allmählich klarer, er begann sich über diese fette Person zu ärgern. Immerhin galt er unter seinen Kollegen als einer der Geschicktesten mit dem Skalpell. Im Übrigen hatte er einen Befehl vom Kapitän. Und der hob alles andere auf. Auch das Anstandsempfinden von Hebammen. Sein Blick fiel auf die Wasserschüssel und die blutigen Tücher. Er wusste zwar noch nicht, was er unternehmen würde, aber er hatte in vielen Jahren gelernt, dass heißes Wasser und saubere Tücher bei der Wundbehandlung von Nutzen waren. Bedauerlich nur, dass man beides viel zu selten während eines Gefechts zur Hand hatte.
    »John!«
    »Sir?«
    »Du besorgst mir heißes Wasser, so viel wie möglich, und dazu dünnes Leinen. Außerdem«, er überlegte kurz,
    »benötige ich drei Sturmlaternen. Überprüfe, bevor du sie bringst, ob noch genug Öl drin ist.«
    »Mit Verlaub, Sir«, John wirkte verlegen, »die Laternen und die Tücher dürften kein Problem sein, aber Ihr wisst selbst, dass bei Sturm das Feuer in der Kombüse gelöscht werden muss, heißes Wasser gibt es zur Zeit auf dem ganzen Schiff nicht.«
    »Dann muss das Feuer neu entfacht werden. Wenn der Koch sich nicht traut, besorge dir eine Extragenehmigung vom Kapitän.« Whitbread wirkte jetzt sehr entschlossen:
    »Und wenn du schon in der Kombüse bist, halte Ausschau nach einem gebratenen Hühnchen oder einem anderen Federvieh. Die Wahrscheinlichkeit, dass du so etwas findest, ist zwar gering, aber ...«
    »Möglicherweise besteht da doch eine Aussicht, Mister Whitbread.« Pembroke mischte sich vorsichtig ein: »Wir
    ... äh ... hatten gestern Morgen in Erwartung der Geburt, sozusagen zur Feier des Anlasses ... äh ... eine Gans in der Kombüse braten lassen ...« Er schien froh, etwas zum Gespräch beitragen zu können, auch wenn ihm schleierhaft war, wozu eine Gans bei der Geburtshilfe dienlich sein sollte.
    »Umso besser. Alles kapiert, John?«
    »Aye, aye, Sir! Bin schon unterwegs.« John stürzte hinaus auf das sturmgepeitschte Deck.
    Langsam fühlte Whitbread sich wohler. Er hatte etwas unternommen, und das war allemal besser als gar nichts zu tun. Er kramte in seiner Erinnerung, ob er jemals bei einer Geburt dabei gewesen war, aber das war natürlich nicht der Fall. Er hatte von den einzelnen Schritten, in denen so etwas ablief, nicht den leisesten Schimmer. Das Einzige, was er ein paar Mal gesehen hatte, waren Muttersäue, die Ferkel warfen. War das so viel anders als eine menschliche Geburt? Er wandte sich erstmals an die junge Lady, die noch immer apathisch auf der Koje saß.
    »Mylady, könnt Ihr mich hören?«
    Keine Antwort.
    »Mylady, ich werde versuchen, Euch zu helfen. Aber es wird unumgänglich sein, dass ich Euch dabei ... ahem ... anschaue. Wenn Euch das stört, sagt es bitte gleich.«
    Wieder bekam er keine Antwort. Die junge Frau stöhnte lediglich ein paar Mal leise. Dann begann sie wieder zu wimmern. Whitbread griff behutsam nach ihrer linken Hand, die ein rotes Damasttuch umklammert hielt.
    »Bitte lasst einen Augenblick los, damit ich Euch den Puls fühlen kann.« Die Frau schien ihn nicht zu hören und wimmerte weiter. Whitbread wurde von einer plötzlichen See zur Seite geschleudert und landete unsanft vor einer eichenen Wiege in der Ecke des Raums. Er rappelte sich auf, ohne die schadenfrohen Blicke der Hebamme zu beachten.
    »Mylady, bitte ...« Er nahm abermals ihre Hand und löste sie mit sanfter Gewalt von dem Tuch. Ihr Puls war unregelmäßig und schwach. Im Übrigen war sie so kalt, dass ein Aderlass sich von selbst verbot. Ein Blutverlust würde ihr nur weitere Wärme entziehen. Aber Wärme war genau das, was sie jetzt am dringlichsten brauchte. Er griff zu seinem Chirurgenkoffer, öffnete ihn und betrachtete eine kleine braune Flasche. Sie enthielt hochprozentigen Branntwein.
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