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Der Wald des Vergessens

Der Wald des Vergessens

Titel: Der Wald des Vergessens
Autoren: Reginald Hill
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schmuddeligen Pennälerwitz vergessen hatte, mit dem er sie vor vielen Jahren in Verlegenheit bringen wollte.
    Da lächelte sie und sagte: »Und der kann jetzt schon laufen«, und durch das Eierschalen-Make-up sah er kurz das Mädchen aufblitzen, das seine engste Verbündete im langen Krieg der Pubertät gewesen war. O. K., sie hatte sich deshalb auf seine Seite gestellt, weil es sie wurmte, daß Sue, die Älteste, kürzere Röcke und dickeren Lippenstift tragen durfte und auch erst später nach Hause zu kommen brauchte. Doch egal, was sie für Beweggründe gehabt hatte, die Augenblicke größter Nähe in der Familie hatte er mit ihr erlebt.
    »Und du?« sagte er. »Gibt es hier nichts, was du haben möchtest?«
    »Bei weitem zu altmodisch für uns«, sagte sie fest.
    »Eine Kleinigkeit, als Erinnerung«, drängte Pascoe sie.
    »Kein Bedarf. Ich erinnere mich auch so«, sagte sie.
    Etwas an ihrem Ton ließ Peter aufhorchen, er war zwar nicht richtig bitter, aber mit Sicherheit leicht sauer. Pascoe wurde plötzlich klar, daß sie nie jemandes Liebling gewesen war. Susan war von ihren Eltern vergöttert worden, wäre wahrscheinlich ihr einziger Sproß geblieben, wenn ihre Verhütungsmethode wirksamer gewesen wäre. Er selbst war Adas Liebling gewesen – oder, wie er es manchmal empfunden hatte, ihre Zielscheibe. Von dem Verlust zweier Männer in ihrem Leben angetrieben (drei, wenn man die Enttäuschung mitzählte, die ihr der eigene Sohn bereitet hatte), hatte sie alle erzieherischen Bemühungen auf ihren männlichen Enkel konzentriert, und die arme Myra hatte sich ihren eigenen Weg suchen müssen.
    Der hatte sie in die Ehe mit Trevor geführt, einem Finanzberater, der seine Kunden so tödlich langweilte, daß sie klein beigaben, um erlöst zu werden. In eine ultramoderne Managervilla in Coventry. Zu einem Pärchen pubertierender Söhne, die in eine Privatschule gingen und Neandertalern alle Ehre gemacht hätten. Und zu der festen Entschlossenheit, aller Welt zu zeigen, daß sie erreicht hatte, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte.
    Also handelte es sich hier nicht um eine Bitterkeit, die den Appetit verdarb, sondern nur um eine würzende Schärfe.
    Pascoe sagte: »Zur Musik wollte ich noch …«
    »Das ist doch egal, Peter. Ich habe doch schon gesagt, daß du recht gehabt hast.«
    »Das meine ich nicht. Ich würde es dir gern erklären. Hier, ich zeig dir was.«
    Er zog die Schublade des Sekretärs heraus und streckte die Hand hinein, drückte auf einen Holzknopf, und eine zweite winzige Schublade, die von einem Muster in der Einlegearbeit versteckt war, glitt aus der ersten.
    »Sauber, was?« sagte er. »Ich hab sie entdeckt, als ich zehn war. Keine Goldstücke oder so. Nur das hier.«
    Er entnahm der Schublade die von Eselsohren entstellte Sepiafotografie eines Soldaten, der ziemlich steif seinen Körper verdrehte, um den Streifen auf seinem Ärmel ins Blickfeld zu rücken. Sein Gesicht, das direkt der Kamera zugewandt war, trug den feierlichen, gesetzten Ausdruck, den die alte Aufnahmetechnik und die Konvention verlangten, aber um die Augen herum zeigte sich die Spur eines Lächelns, als sei er recht zufrieden mit sich.
    »Weißt du, wer das ist?«
    »Er sieht aus wie du, wenn du so richtig von dir selbst überzeugt bist, es muß unser Urgroßvater sein.«
    Die Ähnlichkeit konnte Pascoe nicht sehen, aber die Haue hatte er wohl verdient. Er drehte das Bild um, damit sie sehen konnte, was in ehemals schwarzer, nun zu Grau verblaßter Tinte auf der Rückseite stand.
    Erster Obergefreiter unseres Jahrgangs. Dezember 1914.
    Dann neigte Pascoe das Bild, so daß sich das Licht darin fing. Es war noch etwas Geschriebenes zu erkennen, in Bleistift, der schon vor langer Zeit wieder ausradiert worden war. Doch die Wörter waren so fest eingedrückt, daß sie noch lesbar waren. Gefallen in Ypern 1917.
    »So viele Jahre war das her, und sie konnte es nicht ertragen, das Bild aufzustellen«, sagte Pascoe sinnierend.
    »So viele Jahre, und du hast es mir gegenüber nie erwähnt«, sagte Myra anklagend.
    »Ich mußte es Oma versprechen. Sie hat mich dabei erwischt, wie ich es angesehen habe. Zuerst war sie außer sich vor Wut, aber dann hat sie sich beruhigt, und ich mußte ihr versprechen, nichts zu verraten.«
    »Noch so ein kleines Geheimnis«, sagte sie. »Die Pascoes haben mehr Geheimnisse als der MI 5.«
    »Da hast du recht«, sagte er, um einen leichten Ton bemüht. »Egal, bei dieser Gelegenheit hat sie mir
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