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Der Wald des Vergessens

Der Wald des Vergessens

Titel: Der Wald des Vergessens
Autoren: Reginald Hill
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nicht am Verhungern«, erwiderte Cap.
    »Machst du das regelmäßig?«
    »Fast immer, wenn ich abends daheim bin. Ich sehe die Nachrichten, und dann gibt’s was zu fressen für die hier. Ein bißchen Ordnung in einer chaotischen Welt ist was Nettes. Warum fragst du?«
    Dalziel überlegte, ob eine Erklärung ihm helfen würde, und entschied, daß dem wohl insgesamt gesehen nicht so wäre. »Keinen Grund«, sagte er. »Ich dachte, wir sollten uns unterhalten.«
    »Wir haben uns schon unterhalten, erinnerst du dich?«
    »Da gibt’s noch Dinge, die gesagt werden müssen.«
    »Das glaube ich nicht, Andy.«
    »Ich hab dir ein Geschenk mitgebracht.«
    Er hielt ihr die Röhre hin. Sie nahm sie nicht, also riß er die Verpackung ab, unter der eine Flasche Whisky hervorkam.
    »Macallan« sagte er ehrfürchtig. »Zwölf Jahre alt. Single Malt.«
    »Vielleicht heiratet er, wenn er erwachsen ist«, sagte sie. Die Katzen waren fertig. Sie sammelte die Untertassen ein.
    »Ich dachte, daß du vielleicht wissen möchtest, was Walker wirklich zugestoßen ist.«
    »Das kann ich in der Zeitung lesen«, sagte sie. »Es sei denn, du sitzt wieder darauf?«
    »Nein, es wird in der Zeitung stehen, irgendwann.«
    »Gut«, sagte sie.
    Sie löschte das Garagenlicht, schloß die Tür und entfernte sich von ihm.
    »He, du vergißt deinen Whisky.«
    »Ich trinke das Zeug sowieso nie«, rief sie über die Schulter zurück.
    Er stellte die Flasche behutsam auf den Boden.
    »Solltest du deine Meinung ändern, so steht sie hier«, sagte er.
    »Ich ändere sie nicht«, kam ihre Stimme aus der Dunkelheit. »Aber es ist eine nette Geste, Herr Kommissar. Sie können sie zu Ihrer Verteidigung vorbringen. Gott liebt nichts mehr als nette Gesten.«
    Er wartete einen Augenblick, dann folgte er ihr. Sie hatte das Mietshaus betreten, als er die Straße erreicht hatte. Er hielt inne, dachte nach, drehte sich um und ging wieder die schmale Zufahrt hinunter. Leuchtende Augen beobachteten ihn hoffnungsvoll in der Dunkelheit.
    Er hob zwei riesige Finger, aber nicht in ihre Richtung, sondern zum Himmel.
    »Denk nach«, sagte er. »
Das
ist eine nette Geste.
Das
ist fast ein halber Liter.«
    Und er nahm die Flasche Whisky und machte sich auf den Weg zu seinem Auto.

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    Epilog
    D ie Schafe aus der Herde von George Creed wurden in dem Transporter ins Depot der Firma Haig gefahren, wo sie unter mehr oder weniger angenehmen Bedingungen vierundzwanzig Stunden blieben. Dann wurden sie auf einen namenlosen Lastwagen umgeladen und in den Süden gebracht. Seit die meisten großen Fähren keine lebenden Tiere mehr auf das europäische Festland transportieren, mußten andere Wege gefunden werden, und ein nicht ausgelastetes Containerschiff hatte den Auftrag angenommen, die Sendung der Firma Haig von Grimsby nach Dünkirchen zu bringen. Schlechtwetter verzögerte die Abfahrt des Schiffes, und es wurde Freitag morgen, bevor es in Frankreich anlegte. Ob nun tot oder lebendig, britisches Fleisch war in diesem Land noch nie gern gesehen, außer in höchster Not, und eine Schar französischer Bauern, die von einem sympathisierenden Zöllner einen Wink erhalten hatten, überfielen den Transporter einige Kilometer landeinwärts. Der Fahrer landete im Graben, und die Schafe, die mittlerweile drei Tage weder Futter noch Wasser gesehen hatten, ließ man laufen. Einige wurden erschossen oder zu Tode geprügelt, einige von den Hunden zerrissen, einigen gelang die Flucht. Vierundzwanzig Stunden diplomatischer Austausch auf höchster Ebene und in den höchsten Tönen war die Folge. Der übliche Weg von Empörung, Rechtfertigung und Entschädigung wurde beschritten. Samstag abend war der Ehre auf allen Ebenen und auf beiden Seiten Genüge getan. Mittlerweile waren die überlebenden Schafe zusammengetrieben worden, und es war eine weniger provokante Route zu ihrem letztendlichen Ziel in der großen Bundesrepublik Deutschland erarbeitet worden. Frühmorgens am Sonntag, der zufällig auf den Tag des Waffenstillstands von 1918 fiel, überquerte der Transporter auf seinem Weg ins ferne Schlachthaus, während die Hörner an den Mahnmälern Westeuropas ertönten, die Grenze nach Flandern.

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Über Reginald Hill
    Reginald Hill, geboren 1936, lebt seit vielen Jahren in der englischen Grafschaft Yorkshire, wo die allermeisten seiner Romane auch spielen. Er hat sich den Ruf erworben, »einer der herausragenden lebenden Krimiautoren« zu sein (Sunday Telegraph) und wurde mit zahlreichen Preisen
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