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Der Wald des Vergessens

Der Wald des Vergessens

Titel: Der Wald des Vergessens
Autoren: Reginald Hill
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eigenen Verhaltens oder das meines Sohnes Herbert im aktiven Dienst. Ich verfolge mit dieser Aussage nichts anderes, als die nackten Tatsachen des unglücklichen, zufälligen Todes des Soldaten Stephen Pascoe festzuhalten.
     
    Das Schreiben war von Arthur Grindal unterschrieben. Zeugen waren ein Anwalt in Leeds und dessen Sekretär.
    Pascoe las das Schreiben dreimal durch. Rühren hätte er ihn sollen, dieser verzweifelte Versuch eines Mannes, seinen Sohn zu schützen. Aber da war etwas, das so falsch klang wie das Gebet eines Atheisten.
    »Sind Sie nun zufrieden, Mr. Pascoe?« fragte Thomas Batty. »Eine traurige, tragische Angelegenheit, aber schon längst begraben, und begraben sollte man sie lassen.«
    »Wie die anderen Fehler, die in jenen Jahren begangen wurden, wollen Sie sagen?« fuhr Pascoe fort. »Gott, wie zum Teufel soll dieses Land irgend etwas erreichen, wenn es der Wahrheit über sich selbst nicht ins Gesicht sehen kann?«
    »Das ist aber ein bißchen happig«, sagte Dr. Batty. »Zugegeben, der Erste Weltkrieg war eine Schweinerei, aber das hat ja nun damit wirklich nichts zu tun.«
    »Es hat alles damit zu tun! Aber halten wir uns schlicht an die Details. Erstens, während der Verhandlung wurden keinerlei Anschuldigungen gegen Bertie erhoben, außer daß er benommen war, möglicherweise von der Druckwelle einer Granate verwundet war und davon abgehalten werden mußte, sich im Alleingang auf einen feindlichen Bunker zu stürzen.«
    Batty überlegte, dann sagte er: »O. K. Also?«
    »Also kann Arthur Grindal den Gedanken, daß solche Beschuldigungen gegen seinen Sohn erhoben werden könnten, nur aus einem Mund haben. Dem seines eigenen Sohnes, der ihm sein Herz ausgeschüttet und zugegeben haben muß, daß er die meiste Zeit in einem Zustand des schieren Entsetzens war und losgerannt wäre, wenn der Feldwebel nicht das Kommando übernommen hätte. Ich frage mich, wie seine
wirkliche
schriftliche Aussage gelautet hätte.«
    »Was wollen Sie damit sagen?« fragte Thomas Batty.
    »Ich will damit sagen, daß die Aussage, die ursächlich dafür verantwortlich ist, daß mein Urgroßvater umgebracht wurde, eine Niederschrift war, die Arthur Grindal angeblich diktiert wurde und in welcher die Handlungen von Feldwebel Pascoe so negativ wie nur irgend möglich dargestellt wurden. Im beigefügten Anschreiben bezeichnet Arthur ihn als einen sozialistischen Agitator der wüstesten Sorte. Und wissen Sie was? Keine einzige dieser Lügen wäre überhaupt nötig gewesen! Mein armer, umnachteter Urgroßvater dort draußen log allen die Hucke voll, um den Ruf dieses mitleiderregenden Offizierchens zu schützen!«
    Er hielt jäh inne. Janet Battys Gesicht hatte jegliche Farbe verloren. Es war bleich und wächsern wie das einer Lilie. Ich rede vom Vater dieser Frau, dachte er. Meine eigene Verbindung mit all dem liegt drei Generationen zurück, und die Männer, um die es geht, habe ich nie persönlich gekannt. Aber ich spreche vom Vater dieser Frau, und ihr Schmerz muß mindestens so tief reichen wie meine Empörung.
    Er sagte: »Mrs. Batty, es tut mir leid. Ich glaube, Ihr Vater war ebensosehr ein Opfer wie alle anderen. Ich bin sicher, wenn er je gewußt hätte –«
    »Aber er weiß es ja«, platzte sie heraus. »Er weiß es!«
    Es dauerte einige Sekunden, bis Pascoe begriffen hatte.
    »Er weiß es?« wiederholte er.
    Er sah den warnenden Blick Thomas Battys, sah David Battys ironisches Grinsen und erinnerte sich an die Krankenschwester, die bei seinem ersten Besuch im Maisterhouse die Treppen hinaufgestiegen war.
    »Er lebt noch?« sagte er ungläubig. »Er ist hier?«
    Er sah die Antwort in Janets Gesicht. Unlogischerweise machte das die ganze Sache irgendwie noch viel schlimmer. Wenn alle Betroffenen ihr Ende gefunden haben, sei es die Ruhe in einer gepflegten Familiengruft, im fernen Soldatengrab oder selbst im weichen Lehm eines zerstörten Waldes, bestand da eine Distanz, und der lebhafte Schmerz der Frau wäre ein guter Grund, von weiteren öffentlichen Beschuldigungen Abstand zu nehmen.
    Aber der Gedanke, daß dieser Mann nicht nur ein langes, angenehmes Leben, gesegnet mit Familie und Wohlstand, genossen hatte, sondern es
noch immer
genoß …
    Oder vielleicht auch nicht. Er zwang sich zu einem gleichmütigen Ton, als er sagte: »Er muß sehr alt sein.«
    »Aber ja doch«, sagte David Batty beinahe spöttisch. »Wir freuen uns schon alle auf das Telegramm Ihrer Majestät.«
    »Er ist sehr hinfällig«,
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