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Der Wald des Vergessens

Der Wald des Vergessens

Titel: Der Wald des Vergessens
Autoren: Reginald Hill
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ziemlich verlegen an. Myra sah verletzlich aus, was gar nicht typisch für sie war. Impulsiv machte er einen Schritt nach vorn, nahm sie in die Arme und gab ihr einen Kuß. Er spürte, daß sie überrascht war. In ihrer Familie war es nie üblich gewesen, sich zu umarmen oder zu küssen. Dann drückte sie ihn an sich und sagte: »Tschüs, Peter. Gute Fahrt. Grüße Ellie herzlich von mir. Schade, daß sie nicht kommen konnte. Aber ich weiß, wie es mit Erkältungen von Kindern in diesem Alter ist.«
    Und ich kenne mich mit dringenden Geschäftsterminen und wichtigen Kunden aus, dachte Pascoe. Rosie hatte wenigstens wirklich schniefend im Bett gelegen, als er abgefahren war.
    Und vielleicht hatte Trevor ja wirklich eine wichtige Verhandlung zum Abschluß zu bringen gehabt, verbesserte er sich vorwurfsvoll.
    Er drückte Myra noch einmal fest und ließ sie dann los.
    »Laß uns nicht wieder so lange warten, bis wir uns wiedersehen«, sagte er.
    »Und laß uns versuchen, daß es nicht bei einem Begräbnis ist«, entgegnete sie.
    Aber keiner von beiden bemühte sich, nach dem vagen Versprechen Nägel mit Köpfen zu machen.
    Von der Eingangstür aus sah er zu, wie sie davonfuhr. Er fühlte sich froh und traurig. Er war erleichtert, daß sie als Freunde auseinandergegangen waren, schuldbewußt, daß sie nicht besser gewesen waren.
    Er ging ins Haus und wandte sich an die Urne.
    »Ada«, sagte er, »wir sind wirklich eine beschissene Familie, wir Pascoes. Ich frag mich, wessen Schuld das ist.«
     
    Er arbeitete fleißig an der Inventarliste und machte dann eine saubere Abschrift für Myra. Er würde noch eine Abschrift für Susan in Australien brauchen.
    Eines wußte er sicher. Seine älteste Schwester mochte vielleicht nicht in der Lage sein, für die Beerdigung ihrer Großmutter um die halbe Welt zu fliegen, aber sie würde erwarten, daß alles Geld, das die Reise in die umgekehrte Richtung unternahm, bis auf den letzten Penny genau abgerechnet war. In Adas Testament, dessen Vollstrecker Peter war, waren verschiedene Beträge für Adas Lieblingsorganisationen vorgesehen, und der Rest sollte gleichmäßig unter ihren drei Enkeln aufgeteilt werden. Ob das daran lag, daß er in Ungnade gefallen war, wußte Peter nicht genau, aber er war froh, daß der alte Vorwurf, er sei Omas Liebling, dadurch eindeutig nicht länger haltbar war. Nicht, daß es viel zu erben gab – Ada hatte die Rente aufgebraucht, die sie bekam, und das kleine Haus war gemietet. Doch Peter Pascoe hatte erlebt, daß bei viel kleineren Beträgen als denen, die aus Adas Nachlaß zu erzielen waren, Blut geflossen war, und er hatte bereits veranlaßt, daß Adas Anwältin alles noch einmal überprüfte. Barbara Lomax war eine sachliche Frau, deren Redlichkeit über jeden Zweifel erhaben war.
    Er packte einige Bücher ein, die ihn interessierten, oder möglicherweise Ellie interessierten, und vermerkte sie gewissenhaft auf der Inventarliste. Als nächstes begann er damit, Adas Papiere zu sichten, und trennte sie erst einmal grob nach privat und geschäftlich. Gerührt entdeckte er, daß sie jeden Brief sorgfältig aufgehoben hatte, den er ihr jemals geschrieben hatte. Als er merkte, daß sich ihr Drang zum Aufheben auch auf fünfzig Jahre alte Lebensmittelrechnungen erstreckte, war er leicht ernüchtert.
    Sein Magen grummelte wie fernes Geschützfeuer. Seit den Lachsbrötchen schien eine Ewigkeit vergangen zu sein. Zudem hatte er das Bedürfnis, sich Bewegung zu verschaffen.
    Nachdem er eine Taschenlampe aus dem Auto geholt hatte, schlenderte er den knappen Kilometer zur Dorfwirtschaft, wo er sich ein großes Bier, eine Fleischpastete und eine Unterhaltung mit dem Wirt genehmigte, in der es um Ada ging. Auf dem Rückweg watete er bis zu den Knien in Nebel, der von den Feldern herüberwehte, aber der Nachthimmel strahlte so sehr, daß er das Gefühl hatte, mit dem Kopf an den Sternen entlangzustreifen. Im Fernsehen der Wirtschaft war die Rede von schlechtem Wetter gewesen, für den Norden waren Unwetter mit Schneeregen angesagt. Dalziel hatte völlig recht, dachte er lächelnd. Der sanfte Süden begann tatsächlich hinter Sheffield.
    Er machte sich wieder an die Arbeit, mußte aber feststellen, daß sein Sternenbummel ihn aus der Fassung gebracht hatte. Zudem merkte er nach einer Weile, daß er sich der Urne mit dem abschraubbaren Deckel, die da auf dem Kaminsims stand, bewußter war, als es ein vernünftiger Mensch sein sollte. Schließlich brachte er sie
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