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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter
Autoren: Dean R. Koontz
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Der Absender hatte eine ebenso aggressive wie geheimnisvolle Erklärung abgegeben, deren Symbolik richtig entschlüsselt werden musste, und zwar bald.

2
    Hinter den facettierten Scheiben verbargen sich die
    finsteren Wolken, die den Himmel zuvor verhüllt hatten, nun hinter grauen Nebelschleiern. Der klagende Wind war abgezogen, und die nassen Bäume standen so still und feierlich da wie die Betrachter eines Trauerzugs.
    Der düstere Tag trieb ins Auge des Sturms, und durch die drei Fenster seines Arbeitszimmers betrachtete Ethan das trauernde Wetter, während er über die Bedeutung des Apfels und dessen Bezug zu den fünf seltsamen Gegenständen nachdachte, die davor eingetroffen waren. Die Natur, die Ethans Blick durch milchige Schwaden hindurch erwiderte, blieb im Einklang mit seinem Gemütszustand trübe.
    Wahrscheinlich war der glänzende Apfel ein Symbol für Ruhm und Reichtum, für das beneidenswerte Leben seines Arbeitgebers. Dann sollte das Puppenauge vielleicht tatsächlich eine Art Wurm sein, das die besondere Verdorbenheit im Kern des Ruhms darstellte und damit gleichzeitig als Anklageschrift und Urteilsspruch gegen Channing Manheim diente.
    Seit zwölf Jahren war Manheim nun weltweit der größte Magnet an den Kinokassen. Schon nach seinem ersten großen Hit hatten die vom Starkult berauschten Medien ihm den Namen »das Gesicht« verliehen.
    Angeblich hatte das charismatische Aussehen des Hauptdarstellers damals eine ganze Schar von Boulevardjournalisten dermaßen beeindruckt, dass sie in kollektive Verzückung geraten waren. Die schmeichelhafte Bezeichnung, hieß es, sei ihnen praktisch gleichzeitig aus der Feder geflossen. In Wirklichkeit war es zweifellos ein cleverer, unter chronischer Schlaflosigkeit leidender PR-Manager gewesen, der das Jubelgeschrei mit schnödem Mammon arrangiert und anschließend mehr als ein Jahrzehnt lang am Leben gehalten hatte.
    In der Ära des Schwarz-Weiß-Films, die zeitlich und qualitativ so weit vom heutigen Hollywood entfernt war, dass das Kinopublikum darüber kaum mehr wusste als über den Spanisch-Amerikanischen Krieg, hatte man eine begabte Schauspielerin namens Greta Garbo als »das Gesicht« bezeichnet. Zwar war auch diese damalige Schmeichelei dem Hirn eines Pressemenschen entsprungen, aber die Garbo hatte wenigstens bewiesen, dass sie ihrer würdig war.
    Obwohl Ethan nun schon seit zehn Monaten als Sicherheitschef von Channing Manheim, dem »Gesicht« des neuen Millenniums, fungierte, hatte er noch keine Spur des Tiefgangs entdecken können, zu dem die schöne Schwedin fähig gewesen war. Offenbar war das Gesicht des »Gesichts« fast das Einzige, woraus Channing bestand.
    Nicht, dass Ethan seinen Arbeitgeber verachtet hätte. Das »Gesicht« war leutselig und so lässig, als wäre er ein echter Halbgott, der sich einer immer währenden Jugend und des ewigen Lebens erfreute.
    Das Desinteresse des Stars an allem, was nicht ihn selbst anging, beruhte weder auf übertriebener Ichbezogenheit noch auf einem bewussten Mangel an Mitgefühl. Seine geistige Beschränktheit verwehrte ihm die Erkenntnis, dass die Lebensgeschichte anderer Leute eventuell mehr als eine Drehbuchseite benötigte und dass manche Persönlichkeiten zu komplex waren, um innerhalb von achtundneunzig Minuten dargestellt zu werden.
    Seine gelegentlichen Grausamkeiten waren nie absichtlicher Natur.
    Wäre Channing jedoch nicht der gewesen, der er aufgrund seines phantastischen Aussehens war, dann hätte nichts, was er gesagt oder getan hätte, den geringsten Eindruck hinterlassen. Auf der Speisekarte eines Cafés in Hollywood, in dem die Sandwiches nach Filmstars benannt waren, hätte man vielleicht Folgendes lesen können: Clark Gable für Roastbeef und Münsterkäse auf Roggenbrot mit Meerrettich, Cary Grant für gepfefferte Hühnerbrust mit Emmentaler auf Weizenvollkornbrot mit Senf – und Channing Manheim für Brunnenkresse auf einem leicht gebutterten Toast.
    Ethan hatte nichts gegen seinen Arbeitgeber. Er musste ihn ja nicht mögen, um ihn beschützen und am Leben erhalten zu wollen.
    Wenn das Auge im Apfel tatsächlich ein Symbol für Verdorbenheit war, dann stellte es womöglich das Ego des Stars in seiner glänzenden Schale dar.
    Vielleicht sollte das Ding aber auch nicht auf Verdorbenheit hinweisen, sondern auf die Kehrseite des Ruhms. Eine derart berühmte Persönlichkeit wie Manheim hatte kaum Privatleben und wurde ständig beobachtet. In diesem Zusammenhang konnte das Auge im Apfel das
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