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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher
Autoren: Ferdinand Decker
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Einfahrt.
    Jana sitzt am Computer mit dem Telefonhörer in der Hand. Sie redet Tschechisch oder eine der hundert anderen slawischen Sprachen, in denen sie immer telefoniert. Ich hole mir ein Bier aus dem Kühlschrank. Nach dem ersten, langen Schluck lasse ich mich aufs Wohnzimmersofa fallen.
    »Jana!«, rufe ich laut.
    »Ich bin am Telefon!«, ruft sie.
    »Wie bitte?«, schreie ich zurück.
    »Am Telefon!«
    »Ach so!« Als ob ich das nicht wüsste. Ich lasse meinen Blick durchs Wohnzimmer wandern. Es ist, als wäre ich zum ersten Mal auf Besuch bei mir selbst. Der alte Schaukelstuhl in der Ecke, den Jana von ihrem Großvater geerbt hat und der auseinanderfällt, wenn man darauf schaukelt. Die Fotos an der Wand. Ein überbelichteter Fuß in nüchternem Schwarz-Weiß. Eine zerknautschte Coladose über einem Zeitungsausschnitt mit einem Artikel über Terrorismus. Sonderdrucke von einem von Janas Künstlerfreunden. Die zwei blauen Sofas – Himmelblau ist Janas Lieblingsfarbe. Der Glastisch, ein Geschenk von Janas Mutter, eine schweineteure Geschmacksverirrung aus irgendeinem Designerladen. Die Schiebetüren aus Glas zur Terrasse; und draußen so ein bescheuertes Klapper-Wind-Ding aus dem Tibetladen, um die Geister gnädig zu stimmen. Eigentlich ist nichts in unserem Wohnzimmer von mir, außer dem Fernseher. Ein Sonachron, ganz in Weiß. Wenn Apple Fernseher machte, so sähen sie aus. In Schwarz wäre er dreihundert Euro billiger gewesen. Wenn wir Besuch haben, sagt Jana immer: »Am liebsten hätte ich gar keinen Fernseher. Wir schauen ja auch kaum, nur die Nachrichten und so.« Jana wollte so ein kleines Ding, das man im Schrank verstecken kann. Ach ja, der Schrank! Ein Einbaumonster von unserem Vormieter. »Ist er nicht herrlich kitschig?«, ruft Jana immer, wenn eine Freundin zu Besuch ist, und dann kichern sie wie Schulkinder.
    »Hallo«, sagt Jana. »Du bist ja früh zurück heute.«
    »Ist dir schon einmal aufgefallen«, sage ich, »dass beinahe alles in unserem Wohnzimmer von dir ist?«
    »Von mir?«, fragt sie. »Die Sachen sind doch von uns?«
    »Aber du hast sie alle ausgesucht. Der Schaukelstuhl ist von deinem Großvater, die Fotos sind von Maxi, das Windspiel ist auch von dir.«
    »Was hast du denn auf einmal?«, fragt sie. »War es stressig im Büro?«
    Ich breche in Lachen aus. Nicht ganz spontan, aber es funktioniert. Mir ist ein wenig schummerig von dem Bier. Jana runzelt die Stirn. Ganz plötzlich schaue ich wieder ernst, wie im Film.
    »Setz dich«, befehle ich. Sie gehorcht.
    »Willst du ein Bier?«
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Ich schon«, sage ich. »Ich hol mir noch eines. Ich bring dir ein Wasser mit.«
    In so einer Situation darf man das Heft keinen Moment aus der Hand geben. Als ich mit dem Bier in der einen und dem Wasser in der anderen Hand wieder ins Wohnzimmer komme, blättert Jana in der Fernsehzeitschrift.
    »Jana«, sage ich gelassen, »wegen gestern. Bei Carlini. Ich denke nicht … nein, ich weiß es. Ich bin noch nicht so weit.«
    Jana lässt die Zeitschrift sinken.
    »Kinder«, füge ich hinzu. »Ich will kein Kind.«
    Mit dir, will ich eigentlich sagen. Aber so gemein bin ich nicht. Schweigen breitet sich im Wohnzimmer aus. Ich trinke noch einen Schluck. Der Flaschenmund ist kalt an meinen Lippen.
    »Du willst kein Kind von mir«, sagt Jana.
    »Ich will kein Kind«, sage ich mit fester Stimme. »Aber das hat mit dir nichts zu tun. Ich will nur einfach kein Kind, das ist alles.«
    Janas Gesicht ist vollkommen ausdruckslos. Es macht mich wahnsinnig, wenn sie so vor sich hin starrt.
    »Hör zu«, sage ich. »Wenn ich ein Kind wollte, dann natürlich von dir.«
    »Du willst kein Kind von mir«, wiederholt sie mit tonloser Stimme.
    »Jetzt hör doch auf! Ich will einfach prinzipiell kein Kind. Ein Kind in diese Welt setzen? Warum denn? Gibt es nicht genug Kinder auf der Welt? Die Erde ist überbevölkert. An allen Ecken und Enden wird gehungert, gekämpft und gestorben, weil es keinen Platz mehr gibt, weil es nichts zu essen gibt, weil es so viele Menschen gibt, dass nur ein ganz kleiner Teil anständig leben kann. Und jeden Tag kommen Millionen neue Menschen hinzu und machen es noch schlimmer! Und dann soll ich ein Kind in die Welt setzen? Wie soll ich das denn verantworten?«
    »Gestern hast du was ganz anderes gesagt.«
    »Ich habe nie gesagt, dass ich ein Kind will.«
    »Du hast gesagt, dass du mich liebst.«
    »Na ja –«
    Jana bricht in Tränen aus.
    »Wenn du mich liebst, warum
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