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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher
Autoren: Ferdinand Decker
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persönlicher Zuneigung missverstehe. Dabei weiß ich doch aus Erfahrung, dass Frauen sich nicht für mich interessieren. Jedenfalls nicht für mich als Mann.
    Wie macht Emil das bloß mit den Frauen? Er sieht nicht gut aus. Er geht nicht zum Friseur. Er achtet nicht auf sein Gewicht. Er trägt Jogginghosen und Sandalen bei der Arbeit. Er schaut kein Fernsehen. Er kennt die Filme nicht, die im Kino laufen. Er kann einen Merlot nicht von einem Sauvignon unterscheiden, und bei Geschäftsessen bestellt er entweder Tofuburger mit Sojasoße oder Gemüsemaultaschen, aber in jedem Fall eine doppelte Portion mit Ketchup. Na gut, er kann Gitarre spielen. Drei oder vier verschiedene Lieder nur, aber dabei guckt er so unendlich traurig, als ob die Musik aus seinem tiefsten Inneren käme. Dazu singt er dann wie ein Kamel, eine schöne Stimme hat er wirklich nicht, aber ich muss zugeben, irgendwie kann er es schon, obwohl er den Ton nicht immer trifft. Und mit dieser blöden Liedermasche kriegt er sie alle ins Bett. Angeblich sogar Linda, obwohl ich das nicht glauben kann. Ambitiös ist Emil nämlich auch. Und wer mit der Sekretärin vom Chef was anfängt, das weiß jeder, der kann einpacken.
    Moment – einpacken. Einpacken. Da kannste einpacken.
    Da kannste, das kannste. Titronal! Das kannste einpacken. Super! Die Berliner Note, das ist hip und altmodisch gleichzeitig, auf jeden Fall richtig urban. Den Spot dazu im Retrolook. Die Familie, die in ihrer orangefarbenen Ente mit Faltboot auf dem Dach in den Urlaub fährt, Vater mit Pfeife, Mutter mit hochgeföntem Vogelnest, zwei Kinder und ein Hund. Hm. Da fehlt noch was. Zu langweilig ohne ein störendes Element. Wohin fährt die Familie – nach Italien? Bloß nicht, da wimmelt’s von Carlinis, das muss ich jetzt nicht haben. Frankreich? Spanien? Ich ziehe meine Schuhe aus und drehe Runden um den Schreibtisch. Wo sind wir früher immer hingefahren? Natürlich! Zu Tante Karla und Onkel Erich. In den Osten. Super. Die Modellfamilie steht an der Grenze und wird kontrolliert. Der ganze Wagen wird auf den Kopf gestellt. Schließlich findet der Vopo ein verdächtiges Schächtelchen. Ein Titronal-Schächtelchen. Er rennt ins Wachhäuschen zu seinem Chef, während die Familie mit Maschinenpistolen bedroht wird.
    Der Chef hat Kopfweh und schaut grimmig. »Hab ich gerade gefunden, Genosse Grenzchef!«, sagt der Grenzbeamte. »Verdächtig, was?« Mürrisch nimmt der Chef das Schächtelchen an. Er riecht daran, er schüttelt es. Schließlich öffnet er es und beißt vorsichtig auf eine Tablette. Cut. Der Vater der Familie wird ins Wachhäuschen geschubst. Er zittert vor Angst und hält seinen blöden Sechziger-Jahre-Ferienhut in den Händen. Und er trägt natürlich eine weiße kurze Hose. Der Grenzchef baut sich ganz dicht vor ihm auf, Nase an Nase, und plötzlich fällt er ihm um den Hals. Der Zuschauer begreift – das Kopfweh ist verschwunden, der Grenzchef ist erlöst. Er wirft dem Vater das Schächtelchen zu und ruft: »Titronal – das kannste einpacken!«
    Na ja, ein bisschen lang vielleicht, aber ich bin auf der richtigen Spur, ganz sicher. Und das Beste: Damit sich keiner beklagt, machen wir denselben Spot auch mit einer Ossifamilie und Wessipolizisten. Aber durften die eigentlich über die Grenze, oder sind wir immer rübergefahren? Tante Karla war mal da, beim Begräbnis von Großvater, ich weiß noch das Gerede über ihr geschmackloses lilafarbenes Kleid. Und wennschon, so genau muss man das nicht nehmen. Der Spot wird jedenfalls Aufsehen erregen, ein Fest für die Feuilletonisten und die Blogger, und der Kunde kriegt eine Riesenöffentlichkeit.
    Um sechs steht das Konzept, mit Skizzen und allem.
    Linda sitzt im Vorzimmer und blättert in einer Illustrierten. Das deutet darauf hin, dass der Sturm sich gelegt hat.
    »Gustaf ist schon lange weg«, sagt Linda. »Zum Glück. So unerträglich ist er selten.«
    »Er ist schon weg? Aber er hat doch gesagt, dass er den Titronal-Entwurf heute Abend noch braucht!«
    Linda zuckt die Schultern.
    »So dringend ist der Auftrag gar nicht. Weißt du was? Ich glaube, dass er den Entwurf so schnell haben wollte, damit er Theodora richtig einen reindrücken kann, wenn sie wieder zurück ist.«
    »Was meinst du damit?«
    Linda holt eine Keksdose aus der Schublade und bietet mir einen an. Offensichtlich ist sie in Plauderstimmung.
    »Übrigens ist sie gar nicht krank«, fährt sie fort. »Ich habe noch mal nachgesehen. Sie hat schon vor ein paar
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