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Der verflixte Bahnhofsbau

Der verflixte Bahnhofsbau

Titel: Der verflixte Bahnhofsbau
Autoren: Werner Schrader
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Jochen Krumm. Der Bürgermeister öffnet ihn, ohne Hoffnung, darin einen brauchbaren Vorschlag zu finden.
    „Woll'n mal sehen, welches Haus Jochen Krumm abreißen möchte“, sagt er, während er den Brief entfaltet. Als er ihn jedoch liest, werden seine Augen groß vor Überraschung, die Kummerfalten auf seiner Stirn glätten sich, und der Mund formt ein langanhaltendes großes O.
    Das macht die andern Männer natürlich sehr neugierig, und sie drängen ihn, den Brief vorzulesen.
    „Hört zu“, sagt er darum endlich, „was Jochen Krumm hier schreibt:
     
     
An den Gemeinderat zu Hasenkrug
 
Betreff: Bauplatz für den geplanten Bahnhof
 
Auf meinen Fahrten durch das Land habe ich viele Straßen mit merkwürdigen Namen gesehen. In Knallenberg zum Beispiel gibt es eine Lerchenstraße. Aber in ihr singen keine Lerchen, sondern kläffen Köter und miauen Katzen.
In Wimmerstein heißt gar eine Straße Donaustraße, obwohl der Fluß, zu dem sie führt, die Weser ist. Ja, und die Mückentaler haben, wie Sie wissen, eine Kaiserstraße, und dabei hat doch der Kaiser den Ort niemals betreten.
Ich meine, es ist gar nicht nötig, den Bahnhof unbedingt in der Bahnhofstraße zu bauen, weil da doch kein Platz mehr ist.
Statt dessen schlage ich eine Stelle im Mückentaler Heerweg, gleich hinter dem Sportplatz, vor.
Da können wir ihn so groß bauen, wie wir wollen.
Hochachtungsvoll
Jochen Krumm, Orgeldreher.“
     
    Der Bürgermeister läßt den Brief sinken und schaut in die Runde, als ob er beim Pferderennen gesiegt hätte.
    „Was sagen Sie dazu, meine Herren?“ fragt er triumphierend.
    Die Männer sind begeistert, denn mancher von ihnen zitterte eben noch um sein eigenes Haus. Und Frau Nasenblum sagt kurz: „Jochen Krumm sollte in den Gemeinderat auf genommen werden.“
    Nun wird es doch noch sehr fröhlich beim dicken Fidi, so fröhlich, daß die Männer die neuen Spottverse von Henner Blau und Tatta Knobel überhören.
    Jochen Krumm aber, der von dem kleinen Fidi erfährt, daß er die hundert Mark gewonnen hat, macht drei Minuten lang Kopfstand auf seiner Drehorgel.

     

DAS VIERTE KAPITEL
     
    Wer all die Steine stiehlt und Sand,
    bleibt, weil es Nacht ist, unbekannt.
     
    Der Platz ist gefunden, der Bau kann beginnen.
    Ein Mückentaler Architekt zeichnet den Bahnhof von vorne, von der Seite und von oben. Es wird eine schöne Zeichnung, und die Männer sind zufrieden. Sie schicken Herrn Knausi, den Sparkassenleiter, mit einer großen Spardose von Haus zu Haus, damit er das Geld für den Neubau einsammle. Aber da stellt sich bald heraus, daß in Hasenkrug nur arme Leute wohnen mit vielen Sorgen und wenig Geld. Und als Herr Knausi am Abend die Spardose auf den Wirtshaustisch entleert, merken die klugen Männer nach einer kurzen Rechnung, daß es für den schönen Bahnhof nicht reicht. Also muß der Architekt einen neuen Plan zeichnen, von einem kleineren Bahnhof, der indessen immer noch recht hübsch zu werden verspricht. Maurermeister Wuttig rechnet den ganzen Tag, was der kosten würde, und sagt den Männern abends, daß das Geld auch dafür noch nicht genug sei. Einen dritten Plan will der Bürgermeister nicht mehr zeichnen lassen, denn der Architekt bekommt ja für jeden viel Geld. Darum erhält Meister Wuttig den Auftrag, den Bahnhof nach dem zweiten Plan zu bauen, nur genau halb so groß. Nun kann es losgehen.
    Sand und Steine werden angefahren, Zement und Kies. Meister Wuttig stellt eine Mischmaschine auf, läßt eine Baubude errichten und sorgt dafür, daß seine Leute möglichst viel Dreck und Unordnung machen, weil er weiß, daß das sehr nach Arbeit aussieht.
    Nach zehn Tagen steht schon eine kniehohe Mauer auf dem Bauplatz, fein errichtet aus roten Steinen und grauem Mörtel, und morgen gehen die Gesellen wieder an die Arbeit. Heute ist nämlich schon lange Feierabend, weil die Sonne unter- und der Mond aufgegangen ist.
    Der dicke Fidi steht vor seiner Wirtschaft und rechnet an den Fingern nach, wann das Richtfest sein wird. Er muß es genau wissen, damit er dann auch genug Bier und Schnaps im Hause hat. Vor Eifer glänzen ihm die Augen. Das wird ein Geschäft werden!
    Inzwischen ist es ganz dunkel geworden. Überall werden die Lichter eingeschaltet. Henner Blau kommt aus dem Brakenbusch. Mal taucht er unter im Schatten der Häuser, mal fällt der Schein einer Straßenlaterne voll auf sein Räubergesicht. Er grübelt noch über den letzten Vers des Liedes nach, mit dem er heute Tatta Knobel besiegen will.
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