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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten
Autoren: Ami McKay
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Lippen leckten, wenn sie dachten, sie könnten mich allein abfangen. Mr. Goodwin, der Gemüsehändler, machte gar keinen Hehl aus seiner Vorliebe für junge Mädchen. Mr. Cowan nannte mich jedes Mal beim Kassieren der Miete »Prinzessin«. Nur Peter Rutledge war stets freundlich und hatte ein dröhnendes Lachen, aber er war ja auch dreiunddreißig und hatte wegen des Krieges weder Beine noch Zukunft.
    Solcherlei Aufmerksamkeit war fraglos verstörend, doch ich hatte daraus auch gelernt (wie die meisten Mädchen aus meinen Verhältnissen), dass ich mit der entsprechenden Umsicht sehr viel von einem Mann bekommen konnte, bevor ich selbst etwas hergeben musste. Ein Blick, ein Wort, ein Nicken, und das Spiel war eröffnet. Was springt dabei für mich raus? , war zu meiner ständigen Frage geworden. Wie weit kann ich’s treiben?
    Und so hatte ich Mr. Goodwin angelächelt und ihm gestattet, mir mit dem Rücken seiner rauen Hand über die Wange zu fahren, damit er mir ein halbes Dutzend Eier statt der drei oder vier gab, die ich eigentlich für Mamas Pennys nur bekam. Bei einer anderen Gelegenheit hatten mir ein reizendes Lächeln und ein längeres Verweilen meiner Schulter an seinem Arm eine neue Haarschleife eingebracht. Natürlich bargen diese Spielchen Gefahren – eine falsche Bewegung, und ich konnte entehrt werden oder, schlimmer noch, wie die arme Eliza enden –, doch die Verlockung des möglichen Gewinns, solange man nur vorsichtig blieb, war einfach zu groß.
    Auf diese Weise war Francine Grossman nach London gelangt, von dort nach Paris und wieder zurück nach New York. Nun war das einstige Mädchen aus der Chrystie Street unter dem Namen Baroness de Battue bekannt. Sie hatte ihre Karten richtig ausgespielt und war zur Kurtisane und nicht zur Hure geworden, zur Lady und nicht zur Leiche. Jedes Mädchen aus den Armenvierteln zwischen Five Points und Rag Pickers Row hatte sich irgendwann einmal ein Collier aus Austernschalen um den Hals gelegt und mit einem Besenstiel durch den Schmutz getanzt und Duchess gespielt. Jede Zehn-Cent-Hure auf der Lower East Side verfluchte das glückliche Los von Francine Grossman: Mich hätte es treffen sollen. Eliza hatte in Francines Fußstapfen treten wollen, doch sie war in die Irre gegangen. Das würde mir bestimmt nicht passieren.
    Nestors Stimme war sanft, und er war mir vom ersten Augenblick an als ein bedächtiger Mann erschienen, ein wenig wie Reverend Osgood, der sonntags nachmittags in die Slums kam und mit den notleidenden Seelen betete. War Nestor in jungen Jahren sein eigener Herr gewesen, und hatte ihn auf seinem Lebensweg irgendwo ein Unglück ereilt? Musste er deshalb nun anderen zu Diensten sein?
    Sein Blick war milde geworden, als er sich zu mir umgedreht hatte, Mitgefühl hatte aus seinem fragenden Stirnrunzeln geleuchtet. Mit Glück gehörte er zu den Männern, deren Herz sich durch Flehen erweichen ließ. Bitte, Sir, nicht jetzt – würde ich betteln, falls er sich mir nähern sollte. Ich bin zu jung.
    Am Ende der Treppe hielt er die Lampe in das Dunkel einer kleinen Kammer. Dort zeichnete sich die Gestalt einer Frau ab, die auf einer Matratze mitten auf dem Boden lag. Die Fremde atmete tief und gleichmäßig, ihr Mund war weit geöffnet. Unsere Schritte hallten auf den hölzernen Dielen, doch sie rührte sich nicht.
    Â»Das ist Caroline«, sagte Nestor. »Sie kocht und führt den Haushalt.« Er hielt die Lampe in den äußersten Winkel der Kammer und fügte hinzu: »Und dies ist Ihr Bett, Miss Fenwick. Gute Nacht.«
    Â»Gute Nacht, Sir«, seufzte ich, enorm erleichtert.
    Kaum war er fort, legte ich mich auf die Matratze, noch immer in meinen Kleidern, und klammerte mich an Mamas Kissenbezug. Den einsamen Arm meiner Stoffpuppe spürte ich durch den dünnen Nessel hindurch. Wie oft hatte ich sie schon geflickt, sie ein weiteres Mal mit Sägemehl und Erdnussschalen, die vor der Trinkhalle lagen, ausgestopft, sie mit Fäden von meinem Haar und der Nadel, die ich in ihrem Bauch versteckt hatte, zusammengenäht.
    Ich sah auf die dunkle Stelle, wo die Dachschräge auf den Fußboden traf, und hielt die Nase an den Kissenbezug, wie ein Baby, das am Ärmel seiner Mutter nuckelt. Es roch nach Rosenwasser, Dr. Godfrey’s Cordial und dem Zauberöl, das Geld anziehen soll. Mama hatte sich damit in letzter Zeit ständig
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