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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten
Autoren: Ami McKay
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hartnäckigen Versuche Caroline ärgerten. Als sie sich mürrisch an mir vorbeidrängte, gab ich auf. Ich nahm eine der beiden verbleibenden Schüsseln und setzte mich Nestor gegenüber an den Tisch. Seine Augen verzogen sich zu einem Lächeln.
    Nun, da ich Caroline nicht mehr lauernd im Weg stand, konnte sie sich ungehindert zwischen Tisch und Schränken hin und her bewegen und zarte Schüsseln und Teller mit Zucker und Milch, Trauben und Birnen zu einem Stillleben arrangieren. Aus der Distanz heraus merkte ich, dass Caroline sogar eine gewisse Anmut hatte. Sie erinnerte mich an die winzige hölzerne Frau im Schaufenster des Juweliers auf der Second Avenue, die in einer Kuckucksuhr wohnte: Ihre Taille war ständig in Bewegung, und die Röcke schwangen eifrig mit, bald hierhin und bald dorthin.
    Â»Wohin ist die Lady vergangene Nacht gefahren?«, fragte Caroline Nestor, während sie mit einer kleinen Schere Trauben von einer Rispe schnitt.
    Â»Chrystie Street, soweit ich weiß«, antwortete er und sah mich fragend an.
    Ich nickte und nahm einen Schluck Brühe. Sie schmeckte kräftig, nach Rindfleisch, reichlich Salz und Zwiebeln, und war so gut, dass ich alles andere darüber vergaß. Ich schluckte und schlürfte in einem fort, bis mir der letzte Brotkrumen die Kehle hinunterglitt.
    Â»Hat sie sich wieder eine aus dem Slum geholt?«, fragte Caroline und zog eine Augenbraue hoch. »Man sollte meinen, sie hätte ihre Lektion gelernt, nach der Letzten …«
    Caroline im Blick, neigte Nestor seine Schüssel bis an den Rand. Die restliche Brühe lief über den Tisch, auf eine gefaltete weiße Serviette zu, die auf das Tablett gehörte.
    Â»Chrystie Street … sagt mir nichts«, murmelte Caroline, als sie herbeieilte, um die Serviette zu retten. »Ist hoffentlich besser als die Ludlow .«
    Wenn Caroline sich dazu herabgelassen hätte, mich zu fragen, hätte ich ihr im Brustton der Überzeugung geantwortet: Aber ja! Die Bewohner der Chrystie Street, hätte ich gesagt, waren etwas Besonderes und bei all ihrem Tun reich an Stolz, sie aber, Caroline, wäre um eine Erfahrung ärmer, wenn sie noch niemals dort gewesen war.
    Natürlich stimmte das so nicht. Zwar verfielen in der Ludlow wie in der Chrystie Street eine Menge Häuser, doch im Gegensatz zur Chrystie Street hatte die Ludlow Kanalisation. Auch zwischen den Slums gab es feine Unterschiede.
    Als sich Caroline abwandte, griff Nestor nach dem Tablett und nahm eine Birne aus der Obstschale. Er zerteilte sie mit dem Taschenmesser und reichte mir ein Stück. Von Carolines Missachtung aufgestachelt, griff ich zu.
    Die Birne war süß und saftig, nicht wie die mehligen, überreifen Früchte, die es an den Straßenecken oder auf dem Tompkins-Markt gab. Dort schwammen die Birnen manchmal wochenlang in Sirup, bevor sie von jungen Mädchen unter falschen Verheißungen angeboten wurden: »Farmobst! Heute geerntet, frisch und knackig …«
    Als mir Nestors lange, listige Finger ein weiteres Stück hinhielten, musste ich an meinen Vater denken. Auch er war ein Dieb. Mama hatte Stein und Bein geschworen, dass er sie und ein Pferd vor den Augen meines Großvaters gestohlen hätte – und das am helllichten Tage. »Einem Zigeuner ein Pferd zu stehlen, dazu gehört schon was«, hatte sie gesagt und die Augen vor Verzückung und Wehmut geschlossen. Ich hatte als Kind alle möglichen Geschichten um meinen Vater herumgesponnen. In meinen Träumen war er mir auch nie in der Chrystie Street erschienen. Er tanzte um den Birnbaum des Apothekers und schüttete Zucker aus Mamas silberner Dose auf die Wurzeln. »Süße Birnen sind mir die liebsten«, sagte er immer noch, bevor er dann verschwand.
    Als ich die Hand nach dem Obststück ausstreckte, bewegte sich ein Holzlöffel in Carolines Faust auf mich zu. Ehe ich reagieren konnte, knallte der Löffel schon so heftig auf den Tisch, dass ich zusammenschreckte. »Scheißfliegen«, sagte sie und funkelte mich an.
    Nestor gluckste nervös. »Dir entgeht aber auch gar nichts.«
    Caroline öffnete schon den Mund, um ihn auszuschimpfen, da erklangen drei schrille Klingeltöne. An der Wand neben der Treppe befand sich eine ganze Reihe von Klingeln, darunter standen die Namen der jeweiligen Räume: Salon, Arbeitszimmer, Esszimmer, Eingangshalle, Herrenschlafzimmer, Bad, Bibliothek,
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