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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten
Autoren: Ami McKay
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glückliches Los.
    Während mich die Kutsche von Mrs. Wentworth fort aus der Chrystie Street trug, fragte ich mich, was mir die Kristallkugel wohl gezeigt hätte, wenn sie mutiger gewesen wäre. Hätte ich Mrs. Wentworth in unserem Sessel gesehen? Die Erleichterung auf Mamas Gesicht, als Mrs. Wentworth mich wegbrachte? Ich sehnte Antworten herbei. Wie viele Mädchen standen bereits in Mrs. Wentworths Diensten? War sie gut zu ihnen? Würden sie zu Freundinnen oder Feindinnen?
    Die Samtvorhänge im Innern der Kutsche waren zugezogen, und so hatte ich keine rechte Vorstellung davon, wohin es ging. Ich versuchte, mir die Abzweigungen zu merken, nach rechts oder links, nach Ost oder West, und zählte die Hufschläge, doch schon bald verlor ich die Orientierung. Je weiter ich mich von der Chrystie Street entfernte, umso schwieriger wurde die Entscheidung: Was war größer – meine Angst vor dem, was vor mir lag, oder meine Reue darüber, dass ich so lange bei Mama ausgehalten hatte?
    Am Ende schob ich das alles beiseite und versetzte mich in einen schönen Traum. Ich schloss die Augen und stellte mir die Nacht noch einmal vor, von dem Moment an, als mich Mama aus dem Schlaf gerüttelt hatte, bis zu diesem Augenblick, wo ich im Dunkel der Kutsche einer schweigenden, unheimlichen Mrs. Wentworth gegenübersaß. Ich redete mir ein, dass mir das Schicksal lediglich einen Streich spielte. In meinem Wunschtraum hieß diese Frau auch nicht Mrs. Wentworth. Nein, es war Alice Keteltas, die endlich gekommen war, mich heimzuholen. Sie hatte sogar eine Willkommensfeier zu meinen Ehren arrangiert, nun, zu dieser späten Stunde. Die Damen erwarteten mich in Abendkleidern und die Herren im Frack, alle standen sie aufgereiht da, um das Mädchen zu empfangen, dessen Taufpate ein Birnbaum war, das Mädchen, das wusste, wie man ein Haus mit Freude und Leben füllte.
    Â»Sie werden gleich zu Bett gehen«, verkündete eine scharfe Stimme, als die Kutsche zum Stehen kam. »Ich will, dass Sie morgen ausgeruht sind.«
    Â»Ja, Ma’am«, schreckte ich aus meinen Träumen auf.
    Als die Kutschentür geöffnet wurde, rauschte kalte Nachtluft heran und legte ihren Klammergriff auf meine Haut. Ich nahm meine Kissenhülle und folgte der Stimme. Das Haus von Mrs. Wentworth wirkte verschlossen und dunkel, so gar nicht wie das Anwesen von Miss Keteltas. Dies hier war ganz sicher kein Heim mit heiteren Gärten und einem Paar rotwangiger Unzertrennlicher.
    Das Innere war schwach erleuchtet, nur wenige Lampen flackerten neben der Treppe und in der Eingangshalle. Dennoch konnte ich erkennen, dass ich ein reiches Haus betrat: Der Boden des Vestibüls war mit Marmor gefliest, die Decke, voller Girlanden und Rosen aus Stuck, erhob sich über jedes vernünftige Maß.
    Wir wurden von einem Mann in perfekt sitzendem Frack und edlem Seidenbinder empfangen. Er wirkte wie der makellose Gentleman, bis auf die entsetzliche Narbe, die sich über die linke Wange zog. Sie wand sich durch sein Gesicht wie eine Sorgenfalte, und das, was sie verursacht hatte, hätte beinah auch die Lippen durchschnitten. Dieses Wundmal, weiß schimmernd im Licht, sprach von einem anderen Leben, von Messerkämpfen und blutigen Ohren. Die Schlägertypen in der Gegend rings um die Chrystie Street hatten alle einen Höcker, eine »Bullenbeule«, auf der Nase. Sie plusterten sich mächtig damit auf, denn die Beulen stammten aus Kämpfen mit der Polizei.
    Ich verbeugte mich vor dem Herrn, denn dies konnte wohl nur Mr. Wentworth sein.
    Als ich den Blick auf seine Schuhe heftete, räusperte er sich und winkte mich auf.
    Mein Gesicht wurde rot vor Scham. Der Gedanke, dass Mrs. Wentworth einen Butler haben könnte, war mir nicht gekommen.
    Â»Nestor«, sagte Mrs. Wentworth, während sie ihm bedeutete, ihr mit dem Umhang behilflich zu sein, »das ist Miss Fenwick. Zeigen Sie ihr bitte das Dienstbotenquartier und sorgen Sie dafür, dass sie alles Nötige hat.«
    Â»Ja, Ma’am«, erwiderte er.
    Er nahm ihr, mit höflichem Abstand zum ausladenden Schwung ihrer Röcke, den Umhang genau in dem Moment von den Schultern, als sie sich auf die breite gewundene Treppe ins Obergeschoss zubewegte.
    Das Geländer war aus poliertem Holz geschnitzt, und auf jedem Absatz standen zwei Putti würdevoll Wache und schulterten matte, kugelförmige Gasleuchten. Es kostete mich große
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