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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition)
Autoren: Noah Hawley
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ich nach Osten zog.
    Mit achtzehn, drei Jahre nach seinem kurzen Aufenthalt bei uns, ging Danny aufs College. Nach weniger als einem Jahr jedoch warf er das Studium hin, stieg in sein Auto und fuhr Richtung Westen. Später sollte er sagen, dass er einfach nur «das Land sehen» wollte. Natürlich hatte er uns nichts davon gesagt. Stattdessen bekam ich eines Tages einen Brief, den ich ihm ins Studentenwohnheim geschrieben hatte, ungeöffnet und mit dem Stempel Nicht länger unter dieser Adresse erreichbar zurück. So war er von klein auf gewesen. Danny war immer schon ein Junge, der nie dort blieb, wo man ihn zurückließ, und ständig zu unerwarteten Zeiten an unerwarteten Orten auftauchte. Irgendwann meldete er sich, rief dann in unregelmäßigen Abständen an und schickte E- Mails aus Internetcafés in den weiten Ebenen des Mittelwestens. Gelegentlich, wenn ihm in einem Anfall von Familiennostalgie danach war, krakelte er auch schon mal eine Postkarte voll. Aber ihm musste danach sein, an mich dachte er dabei weniger.
    Das letzte Mal hatte ich ihn in Arizona gesehen. Ich war auf einem Medizinerkongress, und Daniel kam auf seinem Weg nach Norden zufällig durch unseren Tagungsort. Ich lud ihn zum Frühstück in einen hippen Coffeeshop in der Nähe meines Hotels ein. Er hatte lange Haare und aß seine Pfannkuchen, ohne auch nur einmal innezuhalten. Die Gabel bewegte sich wie eine Baggerschaufel zwischen Teller und Mund auf und ab.
    Daniel erzählte mir, er sei viel im Südwesten unterwegs gewesen, tagsüber sei er gewandert, nachts habe er im Schein der Taschenlampe in seinem Zelt gelesen. Er wirkte glücklich. Wenn man jung ist, gibt es keine romantischere Vorstellung als die Freiheit – die schöne Gewissheit, überall hinzukönnen, alles tun zu können. Und obwohl es mich immer noch ärgerte, dass er sechs Monate zuvor das Collegestudium abgebrochen hatte, konnte ich nicht sagen, dass ich überrascht war, schließlich kannte ich ihn.
    Daniel war reisend groß geworden, ein heimatloser Teenager, der zwischen Connecticut und Kalifornien hin- und herflog. Er lernte früh eine gewisse Selbständigkeit, die typisch ist für Scheidungskinder. All die auf Flughäfen verbrachten Weihnachtsfeiertage, all die Sommerferien bei Mom und dann wieder bei Dad, all die unbegleiteten Reisen kreuz und quer über den Kontinent. Daniel schien das Ganze ohne größeres Trauma zu verwinden, trotzdem machte ich mir Sorgen, wie es alle Eltern tun. Ich hatte zwar keine schlaflosen Nächte, wurde aber von Zweifeln und einem nagenden Verlustgefühl geplagt, ganz so, als hätte ich etwas Wichtiges verlegt. Doch Daniel blieb selbständig, er war klug, gewandt, ein sympathischer Junge, und so redete ich mir am Ende ein, dass es ihm, wo immer er sich gerade befand, gut gehe.
    Als wir uns damals in dem Coffeeshop in Arizona gegenübersaßen, zog mich Daniel wegen meines Jacketts und meiner Krawatte auf. Er verstehe nicht, warum ich so etwas an einem Samstag trüge.
    «Es ist ein Kongress», erklärte ich ihm. «Ich habe einen Ruf zu wahren.»
    Er lachte. Er fand all die erwachsenen Männer und Frauen lächerlich, die sich benahmen und kleideten, wie es gesellschaftlich als «professionell» galt.
    Als wir uns verabschiedeten, versuchte ich ihm fünfhundert Dollar in die Hand zu drücken, doch er wollte sie nicht. Er sagte, er komme zurecht, er jobbe hier und da. So viel Geld bei sich zu tragen, würde sich komisch anfühlen.
    «Das brächte mich aus dem Gleichgewicht, verstehst du?»
    Er umarmte mich fest und lang. Sein Haar roch ungewaschen, nach dem süßlichen Moschusduft eines Landstreichers. Ich fragte ihn, ob er sich, was das Geld anging, ganz sicher sei. Darauf lächelte er nur, und ich sah ihm mit einem Gefühl der Hilflosigkeit hinterher. Er war mein Sohn, und ich hatte keinen Zugriff mehr auf ihn. Wenn ich ihn denn je gehabt hatte. Ich war nur mehr ein Zuschauer, ein Beobachter, der sein Leben von der Seitenlinie aus verfolgte.
    An der Tür drehte sich Daniel noch einmal um und winkte. Ich winkte zurück. Dann trat er auf die Straße und aus meinem Blickfeld. Seitdem hatte ich ihn nicht mehr gesehen.
    In unserer Küche in Connecticut nun trat Fran zu mir und küsste mich auf den Mund. Ihre Hände waren voller Mehl, und sie hielt sie genauso in die Höhe, wie ich sie noch vor ein paar Stunden beim Betreten der Intensivstation in die Höhe gehalten hatte.
    «Alex hat sich wieder geprügelt», sagte sie.
    «Es war keine Prügelei»,
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