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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition)
Autoren: Noah Hawley
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    «An wen erinnert der nur?», sagte Fran. «An einen Schauspieler? Hast du das auch manchmal? Dieses Gefühl, dass du jemand Fremdes schon mal gesehen hast? Vielleicht, weil er einen an jemand anderes erinnert. Oder es ist einfach ein Déjà-vu.»
    Die Kamera schwenkte wild hin und her. Zuschauer ergriffen den Attentäter. Männer vom Secret Service und Polizisten erreichten ihn. Die Kamera vermochte sie nicht alle einzufangen.
    Ich ging näher an den Fernseher heran, aber dadurch wurde nichts klarer, sondern war nur noch schwerer zu erkennen.
    «Wie wir soeben hören», sagte der Sprecher, «konnte die Polizei die Identität des Attentäters klären.»
    Es klingelte an der Tür.
    Fran und ich sahen uns an. Ich ging im Kopf die Katastrophen meines Lebens durch. Den frühen Tod meines Vaters, meinen eigenen Autounfall in der Highschoolzeit, der drei Operationen nötig gemacht hatte, das Zerbrechen meiner ersten Ehe, die Patienten, die nicht überlebt hatten. Ich wägte alles gegeneinander ab. Es war eine warme Frühsommernacht, und ich war ein Mann, der mit seinem Leben zufrieden war, glücklich. Einer, dem das Schicksal gewogen war und der mit noch mehr Gutem rechnete. Ich wischte die Hände an der Serviette ab und ging in die Diele.
    Zwei Männer in Anzügen standen vor der Tür, andere ein Stück dahinter auf dem Rasen. Ich sah eine ganze Reihe SUVs am Bordstein stehen, mit stumm zuckenden, blauroten Lichtern.
    «Paul Allen?», sagte einer der Männer. Er war groß, ein weißer Mann mit einem unglaublich glattrasierten Gesicht. Ein geringeltes Kabel wand sich aus seinem Kragen zu seinem linken Ohr. Der Mann neben ihm war dunkelhäutig, breitschultrig. Vielleicht war er in einem früheren Leben einmal Footballspieler gewesen.
    «Ich bin Agent Moyers», sagte der Weiße. «Das hier ist Agent Green. Wir sind vom Secret Service. Wir müssen Sie bitten, mit uns zu kommen.»
    Das Bild, das ich sah, ergab keinen Sinn. Die Worte, die er sprach.
    «Entschuldigen Sie», sagte ich, «sind Sie sicher, dass Sie sich nicht im Haus geirrt haben?»
    Fran kam heran und stand mit großen Augen in der Diele. Sie hatte den Bluetooth-Hörer abgenommen. Die Filmmusik von Fluch der Karibik drang aus dem Wohnzimmer.
    «Sie sagen, es war Daniel», sagte Fran. «Im Fernsehen. Er soll geschossen haben.»
    Ich sah die beiden Agenten an. Sie zeigten keinerlei Gefühlsregung, ihr Blick war kalt wie Stahl.
    «Mister Allen», sagte Moyers, «Sie müssen mit uns kommen.»
    Ich fühlte mich wie ein Boxer, der einen Kinnhaken abbekommen hatte, ohne den Schlag gesehen zu haben.
    «Lassen Sie mich meinen Mantel holen», sagte ich.
    Ich ging zurück in die Küche. Mir war, als watete ich durch Wasser. Ich dachte an das Bier, das ich getrunken hatte, die Zugfahrt nach Hause. Ich dachte an die Zäune, die Rasenflächen und die Nachbarn, die ich seit Jahren kannte. Was würden die sagen?
    Ich blickte auf den Fernseher und sah ein Foto meines Sohnes. Das ist die Schnelligkeit der Welt. Bevor du überhaupt nachdenken kannst, ist etwas geschehen. Seit dem Attentat war nicht einmal eine Stunde vergangen. Woher hatten sie das Foto? Es war eines, das ich nicht kannte. Daniel stand darauf in Jeans und Sweatshirt auf einem weiten Rasen und blinzelte mit zusammengekniffenen Augen ins helle Licht, eine Hand erhoben, um sich vor der Sonne zu schützen. Er musste darauf etwa achtzehn Jahre alt sein. Vielleicht war es ein Foto vom College. Ich erinnerte mich an den Tag, als ich ihn nach Vassar gebracht hatte, einen mageren Jungen, dessen Habseligkeiten in eine kleine Truhe passten. Einen Jungen, der mit vierzehn versucht hatte, sich einen Schnauzer wachsen zu lassen, am Ende aber nur links und rechts vom Mund ein paar Haare hatte, wie eine Katze.
    Was hast du getan?, dachte ich, und noch während ich das dachte, begriff ich, dass ich nicht wusste, ob die Frage an mich oder Daniel gerichtet war.

 
     
    Ich saß allein auf dem Rücksitz des SUV . Der Wagen roch noch neu, was zu meiner unterschwelligen Übelkeit beitrug. Direkt vor und hinter uns fuhren zwei weitere Wagen. Wir fuhren schnell, mit Sirene und wild zuckendem Licht. Agent Moyers und Agent Green saßen vorn, Moyers am Steuer. Die ersten paar Minuten, während wir durch unser Wohngebiet rasten, sagten sie nichts. Sie nahmen die Bodenschwellen mit voller Geschwindigkeit, so dass der Wagen wie ein Pferd bockte.
    Ich dachte an mein letztes Zusammentreffen mit Daniel, sein langes Haar, und wie er
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